Miss Allie gehört seit einigen Jahren zu den schrilleren Stimmen im deutschsprachigen Liedermacher-Kosmos. Ihre Karriere begann 2016 mit dem englischsprachigen (und in Tasmanien ausgezeichneten) Debüt "This Is Why!", gefolgt von dem Live-Album "Mein Herz und die Toilette" (2018), das ihren ungehobelten, zwischen Satire und Poesie oszillierenden Tonfall erstmals breiter bekannt machte. Mit "Aus Scheiße wird Gold" (2019) und "Immer wieder fallen" (2022) erweiterte sie ihr Repertoire um provokante Miniaturen, absurde Alltagsgeschichten und fein gearbeitete Balladen.
Nun erscheint mit "Paradiesvogel" das vierte Studioalbum der in Berlin als Elisa Hantsch geborenen und in Mecklenburg aufgewachsen 35-Jährigen. Der Titel verspricht bunte Vielfalt, die sich in den Arrangements wiederfindet: Punk-Energie trifft auf sphärische Klangflächen, Folk- und Chanson-Elemente reiben sich an karibischen Rhythmen. Das Album lebt von der Bewegung zwischen Gegensätzen, von der Reibung zwischen zarter Melodie und eruptiver Geste. Auffällig ist die Art, wie Miss Allie Sprache als Material nutzt: Viele Songs changieren zwischen Erzählung und Kommentar, oft mit einem leisen Augenzwinkern, manchmal auch mit schneidender Direktheit. Ihre Texte bewegen sich an der Schnittstelle von privatem Erleben und gesellschaftlicher Beobachtung. Tabuthemen werden humoristisch überspitzt oder ernst reflektiert.
Im Vergleich zu ihren früheren Alben öffnet "Paradiesvogel" den Klangraum. Produziert von Peter Hoffmann wirkt die Musik detailreicher ausgebaut und orchestrierter, ohne die Direktheit der Liedermachertradition zu verlieren, ein Rest kalkulierter Dilettantismus bleibt und erhöht den Charme. So entstehen Lieder, die gleichzeitig verspielt und nachdenklich, humorvoll und melancholisch wirken - Dramödien, die ihre Wirkung aus dem ständigen Wechsel der Register beziehen.
"Paradiesvogel" von Miss Allie ist erschienen am 5. September auf Zentrum für Gute Musik.
Außerdem in dieser Sendung
- Nina Maia: Die Zukunft der MPB ("Inteira", Mr Bongo)
- Marquise Fair: Songwriter-Soul-Debüt aus Miami ("Better World", Marquise Fair)
- Caroline Spence: Nashvilles Indie-Folk-Prinzessin hat sich ihre musikalische Unabhängigkeit zurückgeholt ("Heart Go Wild", Caroline Spence)
- Roddy McKinnon: Spröde Songs über Erinnerung und das, was wir hinterlassen ("Tourist on the Moon", Silberblick Musik)
- Charlie Cunningham: Introspektiv-atmosphärisches Gitarrenfolk-Album, aufgenommen in einem Take ("In Light", Labeltje Labeltje)
- Tom Odell: Der Pop-Piano-Dramatiker mit seinem siebten Album ("A Wonderful Life", UROK)
- Why Bonnie: Shoegaze-Dream-Pop im Schlafzimmer-Modus ("Bedroom EP", Fire Talk Records)
- Bertie Newman: Junger Indie-Folk aus London ("My Dear, Porcelain", Mory Records)
+ Neuheiten von Madison Cunningham und Michael Lane
Maaru Will