Der Glanz von früher ist Erinnerung. Einst waren Überfiguren wie Frank Sinatra und Jerry Lee Lewis die Gastgeber der großen Grammy-Gala, auf der vor allem die US-amerikanische Musikwelt sich selbst feiert und ihre kulturelle Dominanz als Norm empfindet. Am Abend des 5. Februar 2023, Los Angeles Ortszeit, fand die mehrstündige Prominenten-Party zum 65. Mal statt. Sie ist noch immer groß, glänzend und selbstverliebt, auch wenn das Publikumsinteresse an den Fernsehern um 80 Prozent gesunken ist gegenüber den besten Grammy-Zeiten Mitte der 1980er Jahre mit John Denver als Moderator. Es hat sich eine gewisse Gewöhnung eingeschlichen, Jahr für Jahr akkumulieren übliche Verdächtige Grammy um Grammy, weil sie in so vielen Kategorien nominiert sind, die kaum zu unterscheiden sind. Ein herausragender Song ist eben nicht selten auch herausragend gesungen, aufgenommen, produziert und albumprägend.
Vielleicht ist aber im schnelllebigen Musikgeschäft auch beruhigend zu sehen, dass gewisse Werte und Qualitäten Bestand haben und Bedeutung bewahren. Dass die Vaterfigur der Nashville’schen Outlaw-Bewegung, Willie Nelson, auch mit 89 noch Grammys gewinnt und nun auf 15 dieser Auszeichnungen blicken darf, ist mit dem großen Blick auf die widerstreitenden Pole Tradition und Innovation eine versöhnliche Nachricht, zumal der Mann aus Texas nicht aufhört, trotz massenhaften Outputs exzellente Musik zu machen.
Und er ist nicht der einzige, auch die große Meisterin für Blues & mehr, Bonnie Raitt, ist zu Recht einmal mehr gewürdigt worden. Daneben etablieren sich neue Künstlerinnen wie die mexikanische Frauenrechtlerin Natalia Foucarde und das Role-Model der lesbischen und queerfreundlichen Country-Szene, Brandi Carlile, als wiederkehrende Preisträgerinnen - weil sie musikalisch reifen, überzeugen und ihre Agenda gegen Überliefertes ihnen nicht zum Verhängnis wird. In gewisser Weise sind sie die Outlaws einer neuen Generation und haben Erfolg dabei. Das sind zwei gute Nachrichten auf einmal, auch wenn man nicht mit allem einverstanden sein muss, was die Grammy-Verleihung hervorbringt.