Er singt ihn nicht mehr so gerne, seinen Hit, der ihn auf dem Gipfel der Neuen Deutschen Welle Mitte der 80er Jahre in die Charts katapultierte. Ein Erfolg, der auf zwei Missverständnissen stand, denn mit der NDW hatte das Lied ebenso wenig zu tun wie es ein Liedermacherstück gewesen wäre, denn dieses Genre hatte Kunze ja bewusst verlassen, als er sich "Die Verstärkung" holte, eine komplette Pop-Band als Begleitung zu seinen kraftvoll interpretierten Rock-Poemen. Über die Jahre ist "Dein ist mein ganzes Herz” zum Evergreen gereift, der immer noch im Radio läuft und kaum gealtert scheint.
Doch für mehr steht der Sänger, der mit seiner 50er-Jahre-Brille eine eigene Marke verkörpert, in der breiten Öffentlichkeit bis heute kaum. Das ist so skurril wie ein ungerechter Streich des Schicksals. Denn natürlich hat der Musiker aus Ostwestfalen noch viele weitere gute Lieder, auch einige bessere komponiert und veröffentlicht. Auf 30 Studioalben ist sein Œuvre angewachsen, neben etlichen anderen künstlerischen Werken (Musicals, Hörbücher, Bücher).
"Können vor Lachen" ist ein persönliches Fazit nach über 40 Jahren auf Bühnen. "Der Beruf des Künstlers ist zerreißend und emotional und trotzdem ist es ein Lebensweg, den ich nicht missen möchte", sagt der mittlerweile 76-Jährige, der als Sänger locker 30 Jahre jünger wirkt. Innerlich hat die Zeit aber tiefe Spuren in ihn eingegraben: "Man zahlt auch einen hohen Preis: Phobien, Existenz- und andere Ängste und Sorgen, die sich (wie in meinem Fall) manchmal bis hin zu Panikattacken auftürmen. Ich habe diese Panikattacken immer für den Preis meiner unendlichen Fantasie gehalten", räumt er ein und verweist auf ein zentrales Lied des Albums, "Die furchtbaren herrlichen Jahre".
Der erste Song "Halt mich fest" beschwört die Kraft des Zusammenhalts im Kleinen, das euphorische "Halt das Herz an” bekräftigt Beständigkeit, Liebe und Zuversicht, der Titelsong "Können vor Lachen" blickt augenzwinkernd auf den künstlerischen Spagat zwischen Spaß und Ernst. "Du tust mir gut" ist eine selbstkritische und demütige Hommage an seine Partnerin, wobei Kunze anfügt: "Natürlich widme ich Liebeslieder immer meiner Frau, aber auch allen anderen Paaren auf dieser Welt, egal ob alt, jung, gleichgeschlechtlich liebend oder hetero.”
"Igor" belegt seine Stellung als einer der großen politischen Songwriter im deutschsprachigen Raum, "Klar hab ich geweint” offenbart schonungslos seine Verletzlichkeit und wirft Hörer auf ihre eigene Verwundbarkeit zurück – offener hat Kunze sich nie zu seinen Narben, zu privaten und beruflichen Enttäuschungen und Niederlagen bekannt.
Dass er ein Bob-Dylan-Verehrer ist, daraus hat Heinz Rudolf Kunze nie einen Hehl gemacht, entsprechend finden sich gleich zwei Hommagen an den Nobelpreisträger auf dem Album: "Trostlosigkeitsallee" ist wie eine Antwort auf Dylans "Desolation Row", ein wilder Ritt durch eine Straße gescheiterter Existenzen, Künstler, Dichter, Denker und Verrückter – europäische Geistesgeschichte mit Nietzsche, Adorno, Heidegger oder Kierkegaard, und Kunze mittendrin. Wohingegen "Liebes Lied" sich in Dylans Country-Töne verliebt.
"Können vor Lachen" ist, wie der Titel sagt, ein Dokument des Könnens und des Lachenkönnens – und das noch auf dem 30. Album. Davor kann man den Hut ziehen. Man kann ihm aber auch einfach mal wieder ein bisschen mehr zuhören, das wäre die größere Ehrerweisung.
Außerdem:
- Deutscher Sprachpreis für Bodo Wartke
- Die bessere Swift: Jess Williamson und ihr neues Album "Time Ain't Accidental”
- Duft eines Schlafzimmers: Tofusmell
- Ankunft auf Blue Note: "Joy'All"von Jenny Lewis
- Neuheiten von Braake, Melody Gardot & Philippe Powell, Ida Mae, Julie Byrne
Die furchtbaren herrlichen Jahre
(H.R.Kunze)
Heinz Rudolf Kunze
Meadow Lake Music
Igor
(H.R.Kunze / U.Rinklin)
Heinz Rudolf Kunze
Meadow Lake Music
Klar hab ich geweint
(H.R.Kunze)
Heinz Rudolf Kunze
Meadow Lake Music
Das falsche Pferd (live)
(B.Wartke)
Bodo Wartke
Reimkultur
Großer blauer Fisch
(B.Bings / T.Schomburg / G.Zenns / C.Kießig / J.Heinemann)
Braake
Tapete Records
Perhaps You’ll Wonder Why (Strings Version)
(P.BadenPowell / M.Gardot)
Melody Gardot & Philippe Powell
Decca
Time Ain’t Accidental
(J.Williamson)
Jess Williamson
Mexican Summer
Something’s in the Way
(J.Williamson)
Jess Williamson
Mexican Summer
Keith
(R.Chen)
Tofusmell
Hardly Art
Basil Noodles
(R.Chen)
Tofusmell
Hardly Art
Joy’All
(J.Lewis)
Jenny Lewis
Blue Note
Love Feel
(J.Lewis)
Jenny Lewis
Blue Note
When Eden Was My Girl (feat. Marcus King)
(C.Turpin / S.M.J.Ward)
Ida Mae
Vow Road Records
Moonless
(J.Byrne)
Julie Byrne
Ghostly International
Markus Will