"Haus" setzt sich in zwölf Liedern mit den Beschaffenheiten von Häusern, Zimmern und Räumen auseinander und mit den Gefühlswelten ihrer Nutzer. Die kommen bei Nichtseattle aus allen Ecken der Gesellschaft: der Hipster, der viel von Ästhetik und wenig von Liebe versteht; eine alte adrette Frau mit traurigem Blick, die sich mit einem schemenhaften Lächeln einen Panzer aus Würde zum Schutz vor einer patriarchalen Welt zugelegt hat; eine junge Frau in Arbeitshose und mit sehnigen, wunden Händen, die ihrem Leben entkommen will. Einen mittelalten Mann, der immer auf dem Sprung ist, hinter keiner Tür seine Schuhe auszieht, getrieben ist von eigenen und gesellschaftlichen Ansprüchen, immer fleißig, aber trotz seines Anzugs einen runtergekommenen Eindruck macht. Ein kleines Mädchen, das sich selbst den Sportbeutel um die Beine schlägt, alleine auf dem Weg zur Schule, so verträumt, dass es auf der Straße fast angefahren wird. Einen Nachbarschaftschor, der das Leben und Zusammensein zu genießen weiß … Ein Haus ist keine Wohnform, sondern ein Raum, in dem Liebe und Beziehungen schlummern. Eigentlich. Doch das kommt zu kurz in einer Zeit, in der alle um die eigenen vier Wände ringen.
Und so stellt Katharina Kollmann auch die Frage nach den Besitzverhältnissen. Wem gehört ein Haus und warum? Zwischen Schutzraum, Projektion für Utopien und Kapitalanlage werden die Bedürfnisse des einen zum Profit des anderen. In ihren Liedern äußert Katharina Kollmann den Wunsch nach einem Gefühl von Solidarität, das nicht an der Türschwelle endet. Nicht wenige der Lieder auf diesem Album sind als gescheiterte Haus- und Verbindungssuche der Künstlerin selbst zu lesen, sie scheint immer wieder an gar nicht mal so großen Utopien zu scheitern: Vielleicht braucht ein Haus mit acht Parteien ja gar keine acht Staubsauger? Und erzählt der gemeinsame Abend mit den Nachbarn nicht mehr über das Leben als jede Netflix-Serie?
"Haus" hat Nichtseattle mit ihrer vierköpfigen Band, dem Produzenten Olaf Opal und seinem Assistenten Sönke Torpus aufgenommen. Es ist ein Liedermacheralbum, das stets in folkigen Indierock vorstößt, angeführt von Katharina Kollmanns eigentümlichen Gitarrenspiel, mit Riffs, die wie kleine Mantren auf ihrer Bariton-Gitarre schwingen und sich harmonisch seltsam unbehaust zwischen Ost- und Westdeutschland bewegen - ein Klanggerüst für Nichtseattles Poesie zwischen PJ Harvey und Tamara Danz oder Bettina Wegner. Wie schon auf ihren beiden Vorgängeralben, "Wendekid" und "Kommunistenlibido", reichen ihr dabei nicht die üblichen dreieinhalb Minuten, um ihre Lieder zu erzählen, zu vertiefen, zu intensivieren. Es ist, bei aller Intimität, ein politisches Album von drängender Aktualität.
"Haus" von Nichtseattle ist am 12. April auf Staatsakt erschienen.
Weitere neue Alben in der Sendung
- Wolke: Wolke (MusiKiste)
- Diane Birch: Flying on Abraham (Légère Recordings)
- Cosmo Sheldrake: Eye to the Ear (Tardigrade)
- Griffure: Paratonnerre (Umlaut)
- Guo Gan, Huong Thanh, Fumie Hihara: Three Perfumes (Felmay)
Komm her
(B.Filleböck / O.Minck)
Wolke
MusiKiste
Schade
(B.Filleböck / O.Minck)
Wolke
MusiKiste
Haus aus Papier (Papierhaus)
(K.Kollmann)
Nichtseattle
Staatsakt
Attribute (Fahrgastunterstand)
(K.Kollmann)
Nichtseattle
Staatsakt
Shade
(D.Birch)
Diane Birch
Légère Recordings
Run
(C.Sheldrake)
Cosmo Sheldrake
Tardigrade Records
But Once A Child
(C.Sheldrake)
Cosmo Sheldrake
Tardigrade Records
I Fall In Love Too Easily
(J.Styne / S.Cahn)
Andrew Bird Trio
Loma Vista
Ombre
(L.Grollemund / A.Billet / C.Lemos)
Griffure
Umlaut Records
The Black Horse of Hue
(L.NguaOHue / Traditional)
Guo Gan, Huong Thanh, Fumie Hihara
Felmay
Chaos
(M.Karimi)
Soma
Felmay
Markus Will