Chris Cohen hat in den fünf Jahren seit seinem letzten Album einen Riesenschritt gemacht. Seine früheren Werken sind überwiegend in Isolation entstanden, auf „Paint a Room" ist eine komplette Band zu hören, die seinem ohnehin schon komplexen Sound noch mehr Tiefe verleiht - und sie nach außen trägt. Cohens Musik war immer ein Spiegelbild seiner inneren Welt, ein Weg, die Komplexität des Lebens zu verarbeiten. Von seinen frühen Meriten als Gitarrist und Bassist der Experimental-Noise-Band Deerhoof (2002 bis 2006) bis zu seinen Soloprojekten hat Cohen Musik als Kommunikationsmittel genutzt. Die subtilen Nuancen seines Klangs hatten dabei Vorrang vor den Worten. Das neue Album setzt die fein gewobene Akustik fort, nur die Texte schaffen eine neue Ebene der Klarheit und Direktheit.
"Paint a Room" beginnt mit „Damage", einem subversiv-melodiösen Stück, das sich mit staatlicher Gewalt auseinandersetzt. In „Laughing", einem von Bläsern geprägten Jangle, erforscht Cohen die existenzielle Erschöpfung der Moderne und fängt die Müdigkeit des heutigen Lebens ein. Cohens Stimme, zart und verletzlich, führt den Hörer mit einer sanften Note durch diese schweren Themen. Einer der herausragenden Songs, „Sunever", hat Cohen für ein Transgender-Kind aus seinem persönlichen Umfeld geschrieben. Er thematisiert die fließende Identität und die Gewalt, die starre Kategorien erzeugen können. Der Refrain des Songs, „You're gonna find a way", ist ein Versprechen der Unterstützung und Hoffnung. In ähnlicher Weise reflektiert „Physical Address" den Wunsch nach Veränderung und Selbstverbesserung - Themen, die heute die sozialen Medien beherrschen.
Cohens Band - Bassist Davin Givhan, Schlagzeuger Josh da Costa, Keyboarder Jay Israelson - schafft dazu einen reichhaltigen und vielschichtigen Sound. Jeff Parkers Bläserarrangements und Produzent Josh Johnsons Einsätze an Flöte, Saxophon und Klarinette werten das Album zusätzlich auf und verleihen ihm eine Textur und Komplexität, die niemals erahnen lässt, dass es in einer Garage aufgenommen wurde. Cohens Idee, mit den Songs erst auf Konzertreise zu gehen, bevor er sie aufnimmt, hat einen gemeinschaftlichen und organischen Zusammenklang hervorgebracht. Er ist persönlich, intim fast, macht sich aber mit gesundem Selbstbewusstsein breit.
Chris Cohen hat ein Kunstwerk geschaffen, das auf mehreren Ebenen anspricht, es nimmt uns an die Hand und schafft es, in die Tiefen unserer Emotionen und die Verworrenheit unserer Erfahrungen zu entführen. In einigen Jahrzehnten wird man „Paint a Room" als Sensation von höherem Erkenntnisrang wiederentdecken. Glücklicherweise können wir es als Zeitzeugen schon jetzt erleben.
"Paint a Room" von Chris Cohen ist am 12. Juli 2024 auf Hardly Art erschienen.
Weitere Alben:
Johnny Blue Skies: Passage du Desir (High Top Mountain)
Laura Carbone: The Cycle (Cosmic Dreaming)
Miu: Summer Road Trip to St. Tropez EP (Blue-Eyed Soul)
Neuheiten von Tindersticks, Breymer, Isaac Roux, Christo Graham, Christian Lee Hutson, Amos Lee, Eva Beyer, Fai Baba & Amour sur Mars