Wenn einen das Leben mit Anforderungen, Druck, sozialen Medien und Selbstvergleichen überfordert, braucht es eine Auszeit. Wenn Glück verblasst und Sinn verloren geht, braucht es eine Auszeit. Zeit, um über sich selbst nachzudenken und das, was wirklich zählt – ohne dass im Kopf Alarm herrscht. Darum geht es in "Auszeit" von Ami Warning, ihrer vierten* Album-Veröffentlichung und dem zweiten in deutscher Sprache nach "Momentan" von 2019. (*2022 hat sie noch ein “Mixtape” herausgebracht, "Kurz vorm Ende der Welt".) Das Album enthält elf Songs, die Geschichten von Zweifel, innerem Kampf, Selbstermächtigung, Mut und Freude erzählen – in einem einzigartigen Stil, der karibische Lockerheit, unprätentiösen Pop und deutsche Liedermachertugend verbindet. Es ist der Stil von Ami (eigentlich: Amira).
Ami Warning klingt glaubhafter als viele ihrer popmusikalischen Zeitgenossinnen. Wer zuhört, merkt: Bei den Aufnahmen ging es nicht darum, wie es am coolsten klingt. Sondern darum, das Anliegen der Songs bestmöglich rüberzubringen. (Spoiler: Genau das macht es schließlich cool.) "Liebe ist laut" zum Beispiel, eine Zusammenarbeit mit Mola, thematisiert Beziehungen und ihr Ende – nicht weinerlich, sondern mit klarem Kopf, der eigenen Bedürfnisse bewusst und sich selbst wertschätzend. "War dabei" mit Rapper Fatoni erzählt von der (inneren) Versöhnung nach einer Trennung. "Rastlos" warnt davor, ständig neue Ziele zu verfolgen, ohne Pause zu machen, und "Meer will ich" zelebriert mit zartem Ton die Schönheit der Ruhe.
Amis Musik evoziert nachvollziehbare Gefühle und schafft Intimität mit ihren Zuhörern. Ihr entspannter Sound mischt deutsche Singer-Songwriter-Vibes mit Hip-Hop-Beats, ihre raue, ungefilterte Stimme will nicht mehr sein, als sie ist, aber sie ist mehr als einfach Gesang, nämlich der direkte Weg zu ihren Gefühlen. Amis Authentizität und ihr für deutschsprachige Musik ungewohnt selbstverständlicher Flow liegt in ihren Wurzeln: Ihr Vater, ein Reggae-Musiker aus Aruba, hat sie musikalisch geprägt, gleichzeitig hat sie sich lange gesträubt, selbst einmal auf eine Bühne zu gehen. Rampensäue mögen gewisse Qualitäten haben, aber wer mit Respekt vor der Herausforderung auf einer Bühne steht, ist sympathischer – und schafft eine stärkere Verbindung.
"Auszeit" ist ein Zeugnis von Amis Reise zur eigenen Bestimmung und eine Hymne an die Entschleunigung, an das Hören auf die eigene Intuition und das Wiedererlangen von Stärke, nachdem sie verschwunden schien. Ein Album, mit dem Ami Warning Trost spendet wie ein weiser Freund, ein Soundtrack, der uns aus einem gestressten, überreizten Leben zurückbringt in den Moment und uns daran erinnert: In unserem Leben geht es zuallererst um uns selbst.
"Auszeit" von Ami Warning ist am 2. August 2024 bei Backseat erschienen.
Weitere Alben:
Joe Ely: Driven To Drive (Rack ’Em)
Why?: The Well I Fell Into (Waterlines)
Brigitte Calls Me Baby: The Future Is Our Way Out (ATO)
+ Neuheiten von Philipp Eisenblätter, Lael Neale, Willie Watson, Susan Wolf, Adam Harpaz und Wayne Graham
+ Zum 15. Todestag von Willy DeVille