Jüngere Musikerkolleginnen und -kollegen verehren den 83-jährigen Songwriter, dessen Diskografie von Twelve-Bar-Blues über Rock bis zu klassischer Klaviermusik reicht. Angel Olsen covert seine Songs, David Bowie beschrieb ihn in einem Interview einmal als "too qualified for folk" und zählte sein Debüt "Ten Songs" zu seinen persönlichen Lieblingsalben und Adrianne Lenker nennt ihn "einen der größten Songwriter aller Zeiten".
Letztere hat mit ihrer Gruppe Big Thief als Backingband Tucker Zimmermans neues, elftes Album mitaufgenommen. "Dance of Love" ist eine Verneigung vor seinem eigenen bisherigen Werk, aber auch ein Weg, Zimmermans Musik einem Publikum vorzustellen, das noch nie von ihm gehört hat. Für die Aufnahmen reiste er zurück in die USA und ging nicht nur mit Big Thief, sondern auch mit deren befreundeten Künstlern Mat Davidson alias Twain und Zach Burba alias Iji ins Studio.
Aufgewachsen ist Zimmerman in San Francisco, wo er früh eine klassische Musikausbildung erhielt. Es waren die Sixties, Zimmerman war Mitte zwanzig und bezeichnete sich noch als Pianist. Unter dem Eindruck von James Brown, Muddy Waters, The Royals und B. B. King komponierte er populären Jazz. "Diese Musik wirbelte meine Seele auf, formte meinen Geist, veränderte mein Leben", sagt er.
Während in den USA die Antikriegsproteste rumorten, zog Zimmerman mit einem Fulbright-Stipendium nach Rom, wo er beim Komponisten Gofreddo Petrassi studierte und erste Shows in Folkclubs spielte. Der Rock’n’Roll hatte ihn zur Gitarre inspiriert, in kurzer Zeit verarbeitete er seine Gedichte zu über 300 Songs und kam zu dem Schluss, dass es seine Bestimmung sei, Plattenkünstler zu werden. Er reiste von Land zu Land. Es ging dabei nicht nur um eine Musikkarriere, sondern auch darum, einer Strafe wegen Wehrdienstverweigerung zu entgehen. Immer an seiner Seite: seine Frau Marie Claire, mit der er heute 55 Jahre verheiratet ist und die ebenfalls auf "Dance of Love" zu hören ist.
In London traf Zimmerman auf Tony Visconti, damals noch am Anfang seines Ruhms (produzierte später Alben von David Bowie, Morrissey, The Stranglers und viele mehr.). Es klickte sofort zwischen den beiden, und Zimmerman wurde zu einem der ersten Künstler, die Visconti begleitete.
Visum-Probleme beendeten seine Zeit in London, er ist nach Belgien gezogen, wo seine Frau Verwandtschaft hatte. Und Belgien war der Ort, an dem Zimmerman richtig aufblühte und wo er fünfzig Jahre später noch immer lebt. Hier entwickelte sich sein künstlerisches Selbstbewusstsein, hier machte er neue Bekanntschaften und hier spielte er bald mehr Shows als je zuvor. "Die Welt meiner Songs wurde zu einem Fluss, der gleich draußen vor der Tür war. Ich tauchte vor jedem Gig kurz ein. Die Lieder flossen so schnell zu mir wie sie wieder davonzogen", notierte er einmal.
Es folgten Zimmermans Alben zwei und drei, "Song Poet" und "Over Here In Europe" (1974, im letzten Jahr als Vinyl wiedererschienen), bei dem er Synthesizer einsetzte und mit den Ondes Martenot (einem Tasteninstrument aus dem Jahr 1928) auch eines der ersten elektrischen Instrumente überhaupt. Die Aufnahmen waren der Beginn einer Phase, in der Zimmerman seinen klanglichen Kosmos erweiterte und Ausflüge in die Filmmusik und Literatur unternahm.
Ende der 1990er formierte sich das Blues-Trio Tucker Zimmerman’s Nighshift, zu dem später auch sein Sohn Quanah stieß. "Nach Jahren des Schreibens, während derer sich 500 Seiten Songs ansammelten, hatte ich endlich meinen Weg gefunden, meine Originalität, meine Stimme", so Zimmerman über sein Songwriting. "Es ist mir klar geworden, dass es nur eine Art Song gibt, für die es sich lohnt, Zeit aufzubringen: solche mit einer positiven Message und einem friedlichem Vibe. Poesie. Ein schlichtes Summen, das uns ein wenig über unsere Sorgen und Ängste hebt, kleine Stücke, die versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen" "Dance of Lov"“ nährt sich aus dieser Idee. Es ist ein Album, das sich aus verschiedenen Genres speist und dessen Songs das Leben eines Songwriters spiegeln, das ausgefüllt und aufregend war - mit innigen Freundschaften, harten Lektionen und: viel, viel Liebe.
In etlichen Songs treffen sich die Stimmen von Adrianne Lenker und Tucker Zimmerman und umschmiegen sich in ruhigen Harmonien. Im Lagerfeuer-Call-and-Response "Leave It On The Porch Outside" stößt auch Marie Claire dazu. "Idiots Maze" wird von Tambourin, gezupften Streichern und Hi-Hat getrieben und stampft mit starken Basslinien voran. Die Meditation "The Seasons" setzt Holzbläser ein und den atmosphärischen Klang von Regen und Gewitter. Atmosphäre und Gemeinschaft werden auf dem Album lebendig, immer wieder sind mitgeschnittene Lacher und Freudenrufe zu hören. "Burial At Sea" erzählt die Geschichte einer wiederaufgetauchten Flaschenpost und ist eng verwoben mit Zimmermans eigener musikalischer Geschichte. Worte, die vor vielen Jahren geschrieben wurden, haben die Kraft noch über Jahre nachzuhallen und dabei Zeit und Ort zu transzendieren. "Das Größte, das ich mir in der Welt der Folkmusik erhoffen kann, ist, einen Song zu schreiben, den man in hundert Jahren immer noch aufführen wird, während mein Name längst verschwunden ist."
Der letzte Song, "Nobody Knows", stellt eine Schlussfrage: Was wird als nächstes passieren? Für Zimmerman, der so viel erlebt hat, liegt die Antwort noch im Dunkeln, aber er weiß sich zu orientieren. "Ich werde in gewisser Weise wohl immer der kleine blinde Junge bleiben, der damals in den 1950ern vor dem Radio saß und seiner Fantasie freien Lauf lässt."
"Dance Of Love" von Tucker Zimmerman ist am 18. Oktober 2024 auf 4AD erschienen.
Weitere Alben in der Sendung
- Kasey Chambers: Backbone (Essence Music)
- Jamison Field Murphy: It Has To End (Ramp Local)
- Jadea Kelly: Weather Girl (Tone Tree Music)
- Roods & Reeds: Who Would Have Thought (Roods & Reeds)
- Guntmar Feuerstein: Gehst du mit mir bis ans Ende der Zeit und noch weiter was auch kommen mag (Ruhrfolk)
- Fai Baba & Amour sur Mars: Fäderliecht (A Tree in a Field)
Markus Will