Die englische Singer-Songwriterin sinniert mit ihrem fünften Studioalbum "Wildfires" in ausufernder Anstrengung über Phasen und Facetten menschlicher Liebesformen. Ihre Mischung aus Folk, Poesie und naturrohen Prologen ist ein tiefgehendes Hörerlebnis.
Polly Paulusma, bekannt für ihr poetisches Folk-Songwriting, war noch nie um Schaffenskraft und Produktivität verlegen. Jedem ihrer Studioalben hat sie kurz nach Erscheinen noch ein Geschwisterwerk folgen lassen, sei es mit Live-, Akustik- oder Demoversionen, hinzu kam eine Einspielung, die ihr wissenschaftliches Werk über die Schriftstellerin Angela Carter begleitet. Da gerät das Zählen ihrer Alben schon mal durcheinander.
Nur drei Jahre nach ihrem letzten Werk mit neuem eigenen Material, "The Pivot On Which The World Turns", hat sie nun ein nicht nur ambitioniertes, sondern regelrecht kolossales Album geschaffen: "Wildfires". Das von Ethan Johns produzierte Album ist ein fast zweistündiges Doppel-Album (beziehungsweise eine Dreifach-LP), bestehend aus den zwei Teilen "Sparks" und "Embers", auf der sich zarte akustische Texturen mit Spoken-Word-Einlagen vermischen, die in natürlichen Landschaften samt Feldaufnahmen aufgenommen wurden.
Das Album fordert das Zeitalter der sofortigen Befriedigung heraus und zwingt den Hörer, es als eine kontinuierliche Reise zu erleben. Paulusma hat "Wildfires" in einer intensiven Schaffensperiode zwischen 2022 und 2023 geschrieben, die sie als "Wutausbruch" bezeichnet. Von ihrem Produzenten erwartete sie, die 22 Stücke auf Albumlänge zu stutzen, aber Johns wollte ganze 20 Songs aufnehmen, da er die erzählerische Kraft des Albums erkannte. "Dies sind Songs, die ich vor 20 Jahren wahrscheinlich nicht hätte schreiben können", sagt sie.
Das Album erforscht die Liebe in ihren vielen Formen – romantisch, verloren, beständig und göttlich. Stücke wie "Paper Cathedral" und "Tiny Little Things" werfen einen ergreifenden Blick auf Beziehungen, während "Over and Over" über die Fähigkeit der Liebe nachdenkt, die Zeit zu überwinden.
Der eindringliche Sound des Albums, der von Live-Aufnahmen mit Bassist Jon Thorne und Pianist Neil Cowley sowie von atmosphärischen Feldaufnahmen geprägt ist, schafft ein intimes wie intensives Erlebnis. Mit "Wildfires" beweist Paulusma, die auch Labelgründerin und Professorin ist, dass die lange Form des Geschichtenerzählens immer noch einen Platz in der Musik hat, und dass tiefes Zuhören immer noch ein kraftvoller Akt der Verbindung ist.
"Wildfires" von Polly Paulusma ist am 28. Februar 2025 auf One Little Independent Records erschienen.
Außerdem:
- Polly Paulusmas isländische Labelkollegin Arny Margret (früher: Árný Margrét) hat sich mit ihrem zweiten Album dem Klang Amerikas hingegeben ("I Miss You, I Do", One Little Independent)
- Der Österreicher Philipp Spiegl rollt mit seinem zweiten Album den Soundtrack zu einem bald erscheinenden Roman aus ("Love Letters", Feber Wolle Records)
- Long Tall Jefferson aus Zürich verbindet auf seinem vierten Album den Kern dessen, was ihn ewiglich antreibt, mit den unvermeidlichen Veränderungen des Lebens ("Old Sun, New Horizons", Mouthwatering Records)
- Das kalifornische Trio The Devil Makes Three besinnt sich nach zwanzig Jahren auf ihre starken Wurzeln Roots, Ragtime, Folk und Punk ("Spirits", New West Records)
- Der Londoner Indie-Poet Jacob Allen alias Puma Blue verabschiedet sich vom Band-Sound und lässt tagebuchartige Musik wie Staub aufsteigen ("Antichamber", Blue Flowers)
- Herman van Veen vor seinem 80. Geburtstag (*14. März 1945)
Markus Will