Wenn Jon Allen seinen Mund öffnet, fallen die Jahre von ihm ab. Seine Stimme -– ein körniges, abgenutztes Ding, getränkt mit Seele und Rauch - singt nicht nur, sie spukt und kratzt an den Rändern alter Geschichten und haucht verblassten Räumen Leben ein. Auf "Seven Dials" schlüpft sie durch die Ritzen des Covent Garden des 18. Jahrhunderts, streift in flackerndem Öllampenlicht an Halsabschneidern vorbei und druckst sich durch Gassen, in denen nur überlebt, wer stiehlt, sich verkauft oder unbemerkt davonschleicht. Allen lässt die Vergangenheit nicht einfach nur Revue passieren - er geht geradewegs in sie hinein, die Gitarre tief hängend, das Herz auf dem Ärmel, die Augen weit geöffnet. Sein Songwriting ringt der Geschichte etwas ab, das im Dunkeln glüht.
Auf "Seven Dials", seinem siebten Album, gräbt der in Winchester geborene und in Londons Unterwelt der Pubs und der Poesie aufgewachsene Jon Allen Lieder aus, als wären sie Relikte, die unter jahrelangem Lärm begraben sind. Er skizziert das Chaos im Covent Garden der georgianischen Ära mit dem Bauchgefühl eines Straßensängers und landet kopfüber im London der Diebe, verlorenen Mädchen und krummen Justiz. Die Songs tragen ihren Gestank und ihren Herzschlag in sich. "Ich wollte ein Licht in die Schatten der Geschichte werfen", sagt Allen, "und zeigen, wie viel davon noch heute nachhallt." In einem Stück spürt man den Atem eines Taschendiebs, der gegen eine Ziegelwand gepresst wird, in einem anderen die Leere einer Mutter, die auf den Sonnenaufgang wartet. Es ist eine Musik, die vorwärts taumelt und dabei pulsiert vor Spannung: Lockere Blues-Grooves, gequetschte Klavierlinien, Rhythmen, die wie Schritte auf Kopfsteinpflaster hallen. Allen geht mit hochgehaltener Laterne durch die Vergangenheit, in der sich "jeder Moment wie ein Glücksspiel anfühlt". Inspiriert hat ihn dazu ein Besuch im Bow Street Museum und dessen gespenstische Überlieferungen.
Das Herzstück des Albums ist "White Gold", ein Stück, das den Zuckerhandel zu einer Metapher für Sucht und Sehnsucht macht. "Es geht um das Leben am Abgrund", sagt Allen, ob im Soho des 18. Jahrhunderts oder im London von heute, wo die Versuchung immer noch das Sagen hat. Songs wie "The Shadow", "Nine Lives" und "The Dealer" entfalten sich wie düstere Filmszenen, mit schmutzigen Riffs, grüblerischen Streichern und rauen Schlägen. Seine Band, The Luna Kings, verleiht der staubigen Energie des Albums Tiefe und Dringlichkeit.
Allen schöpft aus britischen Wurzeln, Folk, Rock und Alt-Country und kreiert einen Sound, der so zeitlos ist wie die Geschichten, die er erzählt. Anklänge an The Faces, Free und Van Morrison schwingen mit, aber Allens Stimme ist unverkennbar seine eigene. "Seven Dials" markiert Jon Allens ehrgeizigsten Sprung: ein Album, das mit Konzept und Emotion eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt und zeigt, dass Überleben, Kampf und moralische Gratwanderungen noch immer aktuelle Themen sind.
"Seven Dials" von Jon Allen ist am 2. Mai auf V2 Records erschienen.
Außerdem
- Das nächste große Talent aus Ostbelgien: Marius Lerho ("Daydream Diaries", Marius Lerho)
- Kelly Bado: ivorische Kanadierin zwischen Chanson, Bété und Soul ("Belles âmes", Odd Doll Records)
- Esther Rose: Country-Rebellin mit nachdenklichen Tönen ("Want", New West Records)
- Postfaktische Poesie fürs Herz: Martin Kerr aus Kanada ("Love More, Care Less", Nettwerk)
- Venner Folk Frühlung: Elena Seeger und Nobutthefrog sind Finalisten des Dieter-Wasilke-Wettbewerbs (9. bis 11. Mai)
- Manfred Maurenbrecher zum 75. Geburtstag
- Live-Tipp: Derya Yıldırım & Grup Şimşek am 9. Mai in Lüttich
- Neuheiten von Douwe Bob und Sean Nicholas Savage
Interpret | Titel |
---|---|
Douwe Bob | Funny |
Marius Lerho | Coffee Calls |
Kelly Edwidge Bado Giesbrecht, Brian West, Andy Stochansky, Anique Granger | Jamais Oublier |
Kelly Bado | La Danse |
Jon Allen | Seven Dials |
Jon Allen | Midnight Oil |
Esther Rose | Want |
Esther Rose | Messenger |
Sean Nicholas Savage | Lust For Life |
Martin Kerr, Khara Ann Lord, Brennan William Aerts, Levon Gray | Love More, Care Less |
Elena Seeger | Big Business |
Annkathrin Slavik, René Huber-Klötzer | About Friendship |
Manfred Maurenbrecher | Jubilaere |
Traditional | Ceylan |
Markus Will