Was als leidenschaftliches Nebenprojekt begann, ist längst ein eigenes Genre geworden: "Boleros Psicodélicos II" knüpft nahtlos an Adrian Quesadas gefeiertes Album von 2022 an - und führt dessen Idee mit noch größerer Konsequenz fort. Wieder dreht sich alles um die [i] balada romántica [/i], jenes opulente Untergenre lateinamerikanischer Popmusik der 1960er und 1970er- Jahre, das einst in verrauchten Bars, heimlichen Träumen und orchestraler Grandezza zu Hause war.
Quesada, Gitarrist, Produzent und Mitgründer der Black Pumas, bringt diesen Klang in die Gegenwart - mit viel Soul, subtilen Hip-Hop-Verweisen und einer Gästeliste, die von Los Angeles bis Havanna reicht: Angélica Garcia, Cuco, iLe, Mireya Ramos, Trish Toledo, Catalina García - sie alle verleihen dem Album eine stimmliche Tiefe, die sich nie in Nostalgie verliert.
"No Juego" etwa lodert zwischen Orgel und Gitarren, bis Garcia in den Refrain hinein explodiert – wie ein innerer Aufstand. Auf "Cuatro Vidas" singt Mireya Ramos mit dieser Mischung aus Wehmut und Würde, die klassische Boleros so unwiderstehlich macht. Und wenn das kolumbianische Duo Monsieur Periné auf "Agonía" zum Sturm ansetzt, wird klar: Das hier ist kein Retro-Album. Es ist Gegenwart - nur eben in einer Sprache, die älter ist als der Zeitgeist.
"Boleros Psicodélicos II" klingt wie ein Fiebertraum aus Farbe, Rhythmus und Erinnerung - dramatisch, vielschichtig und getragen von einer spürbaren Zuneigung zur lateinamerikanischen Popkultur. Dass Quesada sich dabei stilistisch Freiheiten nimmt - mit knisternden Beats, Vibe-Effekten oder kammermusikalischen Zwischenspielen - macht das Album umso faszinierender. Es ist ein Werk, das nicht zurückblickt, sondern weiterträgt. Und das damit einen Schatz zugänglich macht, der in seiner Emotionalität universell bleibt.
"Boleros Psicodélicos II" von Adrian Quesada ist am 27. Juni auf ATO Records erschienen.
Außerdem in dieser Sendung
Dota: Poetische Popminiaturen zwischen Witz, Weltsicht und Widerstand („Springbrunnen“, Kleingeldprinzessin Records)
BC Camplight: Existenzielle Pop-Odyssee zwischen Tragikomik und Selbsterkundung („A Sober Conversation“, Bella Union)
Slow Leaves: 14 beste traurige Lieblingslieder – reduziert auf Stimme, Gitarre und Bass („In Solitude, For Company“, Make My Day Records)
Sons of the East: Folk-Soul mit Lagerfeuerharmonien und großer Live-Energie („Sons“, Sons Of The East)
- Werner Bekker: Licht und Schatten aus Kapstadt - akustisches Album über Verlust und Hoffnung ("Lightwoven", Tic Tic Bang)
- Oska: Reduzierter Art-Pop zwischen Aufbruch und Erinnerung ("Refined Believer", Nettwerk)
- Crandall Creek: Moderner Bluegrass mit Schwung und Herz ("Color Me Blue", Copper Mountain Records)
- Becky Buller: Klassiker neu gespürt - Bluegrass-Geschichte und der Schmerz von heute ("Muddy Waters“, Dark Shadow)
- Sean Nicholas Savage: Poptheater und Selbstgespräch – ein Spiegelkabinett ("The Knowing", Mansions and Millions)
Maaru Will