Das Wichtigste vorweg (für Auto-Nostalgiker): Dieses Mal zeigt das Cover einen VW SP2, der ausschließlich in Brasilien gefertigt wurde und von dem nur zehntausend Stück verkauft wurden.
Kultige Volkswagen in freigestellten Schwarz-Weiß-Fotos waren von Beginn an ein wirksamer Hingucker der "Glücklich"-Serie des Münchner Labels Compost, ein Spezialist für Rare Grooves mit Jazz-Nähe von gestern bis in die Zukunft ("The Future Sound of Jazz" ist die erfolgreichste Compost-Reihe mit 15 Folgen seit 1995). 1994 war es ein VW Käfer 1200, der zehn Tracks zwischen Latin Jazz, Samba und Bossa Nova verpackte. Das Artwork war schlüssig konzipiert: Es ging um eine "German-Brazilian Connection", und dafür stand Volkswagen mit seinem größten internationalen Ableger Volkswagen do Brasil ebenso wie die deutsche Fusion-Musik, die sich schamlos offen aller brasilianischer Sounds der 1960er und 1970er Jahre bediente. Rundfunk- und Unterhaltungsorchester wie James Last und Bert Kaempfert machten diese deutschen Brasil-Adaptionen in ihrer seichtesten Form zu Millionenerfolgen. In diesem Umfeld wurde viel experimentiert, und so mancher Musiker hatte sehr wohl verstanden, dass in Brasilien auf höherem Niveau komponiert und musiziert wurde. Manche deutsche Orchester- und Sessionmusiker versuchten sich daran, in Hobbyform oder mit Kleinstauflagen für Liebhaber. Diese seltenen Blüten zu finden und teils mit modernen Eigenkompositionen zu konterkarieren, das war der Beiritt der "Glücklich"-Reihe.
Bei deutschen Produktionen allein ist es aber nicht geblieben, auch in anderen Ländern verfielen Musiker dem verführerischen brasilianischen Sound - Melodien, leicht wie Schmetterlinge, aber eben auch mit einem unberechenbaren Rhythmus und nie geradeaus, hinzu kamen exotische Perkussionsinstrumente, zart angeschlagen. Oder aber es waren Ex-Pats, die die Musik ihrer Heimat im europäischen Kontext neu belebten.
Die Fortsetzung der erfolgreichen Serie nach 20 Jahren enthält zwölf sorgfältig kuratierte Fundstücke. Fündig geworden ist Label-Gründer Rainer Trüby unter anderem auf obskuren CDs, die von Vinylsammlern ignoriert wurden, oder bei Titeln, die bislang einer Zusammenstellung entgangen waren. Zum Beispiel "Adericó", eine Melodie aus der Feder des mysteriösen José Prates, der für die 1958 erschienene LP "Tam...Tam...Brasil" verantwortlich ist, die vor ein paar Jahren die Welt der Vinylsammler in Aufruhr versetzte. Prates lebte später in Deutschland und produzierte weiterhin Bühnenshows zum Thema Brasilien, die mit unglaublichen Songs gefüllt waren. Die besten waren 1979 auf einer LP mit dem Titel "Festa Brasileira" erschienen, eingespielt von einer ominösen "Matheus Combo". Oder "Sambomambo" vom deutschen Keyboarder Christian Knobel, der heute als Musiklehrer in Freiburg tätig ist. Er veröffentlichte nur eine eigene LP, "Chakrawakam" im Jahr 1982. "Hallo Höppel" ist ein satirisches Highlight von Wütrios begehrter zweiter LP von 1987. "Brother Samba" von den Midnight Gigolos scheint sich wie aus einem Fiebertraum am Strand materialisiert zu haben, sexy, gewunden und anzüglich. Marcia Maria, erst in Brasilien erfolgreich, war 1978 nach Paris gezogen und ist mit einem furiosen Vokal-Stück ihrer zweiten in Frankreich aufgenommenen LP vertreten. Aus Skandinavien stoßen Debbie Cameron und Richard Boone hinzu, sie haben 1978 in Dänemark ein Soul-Jazz-Duo gegründet, und die schwedische Band A Bossa Elétrica gehört zu jener besonders europäischen Tradition von Bands, die von einheimischen Musikern und/oder DJs gegründet werden, die sich an die brasilianischen Música Popular anlehnen, aber auch der hiesigen Tanz-, Club- und Remix-Kultur verpflichtet sind. Ihre portugiesisch übersetzte Version des Roy-Ayers-Klassikers "Everybody Loves The Sunshine" aus dem Jahr 2011 macht seit ehedem die Runde in den Clubs und landet auf "Glücklich VI" erstmals auf einer Compilation.
Die Liner Notes geben über diese und die übrigen Stücke spannende Auskunft, und allein vom Auffinden all der Raritäten zu lesen und dabei zu sehen, welchen Weg Musik nehmen kann (und aus welch sonderbaren Archiven man sie später retten muss), ist allein schon eine beglückende Erfahrung. Es stimmt einmal mehr wieder alles: In "Glücklich VI" ist drin, was draufsteht.
Außerdem
- Coltrane vorm Wendepunkt: das sonderbare Live-Album "Evenings at the Village Gate" von 1961 - erstmals veröffentlicht
- Hochamt des Salsa: Rubén Blades wird 75
- Post mortem: "Neuheiten" von Tony Allen auf der epilogischen "Jazz-is-dead"-Reihe
- Von den Oper in den Jazz: Joshua Blue
- Neuheiten von Matthew Halsall und Bebel Gilberto
Impressions
John Coltrane
John Coltrane with Eric Dolphy
Impulse!
Calder Shapes
Matthew Halsall
Matthew Halsall
Gondwana Records
Siembra
Ruben Blades
Willie Colón & Rubén Blades
Fania Records
Sambomambo
Christian Knobel
Christian Knobel
Compost Records
Brasil Nativo
Danilo Caymmi, Paulo C. Pinheiro
Marcia Maria
Compost Records
Adeus América
Danilo Caymmi, Paulo C. Pinheiro
Bebel Gilberto
PIAS
Oladipo
Geraldo Jacques, Haroldo Barbosa
Tony Allen
Jazz Is Dead
Yellow Dog Blues
W. C. Handy
Joshua Blue and Steven Blier
NYFOS Records
The Goldberg Variations – Variation 8
J. S. Bach
WDR Big Band
Jazzline
Markus Will