So war es nicht gedacht: "Tales of Utopia" sollte kein Kommentar auf die anhaltenden Konflikte in Israel sein. Es sollte utopisches Denken neu formulieren: als Gegenmittel zur Informationsüberflutung, mit Hilfe von Konzentration und Meditation. Auf tragische Weise ist es nun doch als Utopie einer Gesellschaft im Krieg lesbar. Mithilfe einer epischen Erzählung in zehn Kapiteln verfolgt das Album die Reise eines jungen Helden, der von den Umständen einer neuen Umgebung und einer Flut von Reizen, die auf ihn einströmen, überfordert ist und Auswege sucht. Es gibt ein glückliches Ende – das ist die Utopie. Das Entscheidende ist aber das Erleben im Inneren und der Glaube, dass sich Durchhaltevermögen auszahlt.
Dabei dokumentiert "Tales of Utopia" eine Suche nach Haltung und Friedfertigkeit. Pianist Gadi Stern und Schlagzeuger Matan Assayag sind jüngst Väter geworden. Ihr persönliches Glück ist in die Musik eingeflossen: "Kunst macht die Welt besser", beschreiben sie ihre Intentionen, "wir wollen Schönheit in die Welt bringen und ein Gefühl erzeugen, dass die Leute mit sich selbst glücklich sein können. Das müssen sie wieder lernen und neben der Informationsflut eine Position finden, damit nicht immer mehr immer weniger bedeutet. Unsere Kinder waren dabei die besten Lehrer, weil sie sich von kleinen Dingen faszinieren lassen. So kann man das Destruktive überwinden."
Jeder der in Tel Aviv wohnenden drei Musiker – neben Gadi und Matan ist das Kontrabassist David Michaeli – speist seine musikalischen Vorlieben Jazz, Klassik, Grunge, Rock, Techno oder Folk in ihren gemeinsamen Organismus ein. Heraus kommt ein anregendes, stark verdichtetes Gemisch mit wehenden Melodien und einer in unzählige Reflexionen zersplitterten, vorantreibenden Rhythmik, farbenreich und verzaubernd, ohne je den Hörer zu unterfordern. Diese Musik zielt gleichermaßen auf Herz, Intellekt und Beine. Und ist ein Plädoyer für innere Harmonie als Voraussetzung für die äußere.
Außerdem:
- Generationswechsel der Startrompeter: Der Engländer Henry Spencer (33) steht da, wo Chris Botti 1995 im selben Alter stand – beim Solodebüt. Auch Botti erlebt ein Debüt: Sein erstes Album nach elfjähriger Pause erscheint auf Blue Note.
- Júlio Resende widmet den zweiten Teil seines Fado-Jazz-Projekts den Kindern der portugiesischen Nelkenrevolution von 1974
- Weltpremiere "Ex Machina": Steve Lehman und das Orchestre National de Jazz improvisieren in Albumlänge mit einer generativ eingebundenen Künstlichen Intelligenz.
- Zart flirrende Komplexität aus Rio: Ed Motta beschwört mit seinem 14. Album "Behind The Tea Chronicles" die Kraft der Inspiration von Film und Fernsehen.
- Abschied von Carla Bley
Tales of Utopia
(G.Stern / D.Michaeli / M.Assayag)
Shalosh
ACT
Wave
(G.Stern / D.Michaeli / M.Assayag)
Shalosh
ACT
The Defector
(H.Spencer)
Henry Spencer
AMP Music & Records
Bewitched, Bothered and Bewildered
(R.Rodgers / L.Hart)
Chris Botti
Blue Note
I’ve Got A Feeling (feat. Jacqui McShee)
(B.Jansch / D.Thompson / J.Renbourn / T.Cox)
The Modern Jazz & Folk Ensemble
Acid Jazz
Mano a Mano – Now We Are Brothers
(J.Resende)
Júlio Resende Fado Jazz
ACT
Chimera
(S.Lehman)
Steve Lehman & Orchestre National de Jazz
ONJ Records
Quatermass Has Told Us
(E.Motta)
Ed Motta
MPS
Life Goes Onv
(C.Bley)
Carla Bley
ECM
Creole Love Call
(D.Ellington)
Adelaide Hall
Acrobat Music
Markus Will