Unter den anspruchsvollen Musikfestivals zählen die „Proms“ in der Londoner Royal Albert Hall zu den demokratischsten: niederschwellig, zwanglos, für jeden erschwinglich. Dabei zeigt sich auch das „einfache“ Publikum als gleichermaßen kundig und offen für Neues – im klassischen Musikbetrieb eine eher seltene Kombination. Für das Festival 2022 hat die ausrichtende BBC Norwegens Wundersaxofonist Marius Neset beauftragt, ein Werk zu komponieren für sein Quintett zusammen mit Englands führendem Orchester für zeitgenössische Musik, der 18-köpfigen London Sinfonietta.
Neset musste sich also nicht anbiedern, eine Musik mit Pomp, Pop und Spektakel aufzufahren, sondern durfte experimentell an seine Grenzen gehen und darüber hinaus. Seine Idee: ein Werk, das für die Energie steht, die Musik emotional zum Ausbruch bringen kann. Statt eines Vulkans kam ihm das Bild eines Geysirs in den Sinn – naturgewaltig, aber freundlich, nicht katastrophal, sondern optimistisch.
Und dann kam der Ukraine-Krieg. Mit einem Mal fühlte sich Optimismus unangebracht an. Neset arbeitete sein achtteiliges Werk „Geyser“, das schon kurz vor Vollendung stand, noch einmal grundlegend um. Dunkle Töne, kantige Wechsel, schroffe Passagen haben Einzug gehalten in das Klangkunstwerk, das den Weg eines Geysirs vom Aufheizen im Verborgenen bis zu seinem furiosen Ausbruch nachgeht – eine Analogie auch zu unverstandenen Vorgängen in Gesellschaften, die auf eine Katastrophe hinsteuern oder einen Höhepunkt des Glücks.
Das Ende hat Neset offen ekstatisch gestaltet, aber die Momente des Verborgenen und der dunklen Ungewissheit, ob nicht doch Lava statt Wasser in die Welt schießt, hat der 33-jährige Komponist mit mannigfaltiger Nervosität überzeichnet.
Den 23 Instrumentalisten und ihrem Dirigenten Geoffrey Paterson verlangt „Geyser“ ein Höchstmaß an Konzentration, Kunstfertigkeit und Durchhaltevermögen ab – und belohnt das Publikum mit einer der aufregendsten zeitgenössischen Kompositionen im Dreieck von Klassik, Jazz und Neuer Musik.
Das Zeugnis der gefeierten Uraufführung vom 3. September 2022 ist nun für die ganze Welt hörbar und dürfte, ganz im Geiste der Proms, Hörerinnen und Hörer aus völlig verschiedenen musikalischen Lagern ansprechen – und mitreißen.
Außerdem:
• Die Jazzrausch Bigband verballert Mahlers Fünfte zu einem Rave de Luxe
• Céline Bonacina bereitet mit „Jump!“ dem Baritonsaxofon eine Arena voller musikalischer Wunder
• Sonja Kandels entfacht mit „Express Your Life“ ein buntes Lagerfeuer für Musik aus drei Kontinenten
• Neuheiten von Black Pumas, Douniah, Moses Yoofee Trio
It Looks Like Glass Part 2
(M.Neset)
Marius Neset & Norwegian Radio Orchestra
ACT
Part 2 – On Fire
(M.Neset)
Marius Neset with London Sinfonietta
ACT
5. Sinfonie in cis-Moll – II. Stürmisch bewegt. Mit größter Vehemenz (feat. Bettina Maier & Florian Leuschner)
(G.Mahler / L.Kuhn)
Jazzrausch Bigband
ACT
Deevella Street
(C.Bonacina)
Céline Bonacina
Cristal Records
Manungo Na
(B.Traditional / S.Kandels)
Sonja Kandels
JazzSick Records
Mrs Postman
(E.Burton / A.Quesada / J.Marshall)
Black Pumas
ATO Records
The Spiral Staircase
(J.Taylor)
The James Taylor Quartet
Acid Jazz
Runnin’ (feat. Okcandice)
(D.Hagenauer)
Douniah
Melting Pot Music
At Ease
(M.Yoofee / R.Klobe / N.Fürbringer)
Moses Yoofee Trio
BMG Rights Management
Santiago
(B.vanderHoeven)
Lucinate
King Deluxe
Markus Will