Ende der 1950er Jahre nimmt ein junger Pianist in Köln sein Musikstudium auf. Der Sohn aus einer gräflich-preußischen Beamten- und Militärfamilie hat schon mit acht Jahren Klavier gespielt, doch Musik war nicht das höchste Gut in seiner Erziehung. In Bayern, wo er als Flüchtlingskind aufs Internat ging, hörte er amerikanisches Soldatenradio. Die Musik, die er aufsog, beflügelte seinen Freiheitsdrang, er rebellierte, flog vom Internat, wählte ein Leben, in dem musikalischer Ausdruck zum Vehikel eines bis heute gültigen Freiheitsbegriffs geworden ist. Alexander von Schlippenbachs Hinwendung zum Free Jazz ist untrennbar mit den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und den erstarrten Gesellschaften der beiden deutschen Nachkriegsländer verbunden.
Der Düsseldorfer Germanist, Kunstgeschichtler und Kulturjournalist Tilman Urbach, der schon mehrere Langdokumentarfilme über Kulturschaffende gedreht hat, ist den Spuren dieses unbeirrten europäischen Free-Jazz-Künstlers nachgegangen und zeigt in seinem neuen Film "Tastenarbeiter - Alexander von Schlippenbach" nicht nur die Geschichte einer herausragenden Persönlichkeit des 20. und 21. Jahrhunderts, seiner musikalischen Arbeit, seiner Weggefährten sowie gemeinsame Erinnerungen an bewegte Konzerte bis in die DDR, sondern auch den Kontext, ohne den der Free Jazz - oft als unverständlich und "unhörbar" stigmatisiert - nicht verstanden werden kann. Für Alexander von Schlippenbach war seine Musik immer ein Mittel, ein Ausdruck, eine Haltung zur Entgrenzung, und in den Revolten der 68er-Generation war der Free Jazz eine oft gewählte Option politisch-gesellschaftlich-kultureller Distinktion. Denn das Aufheben von Grenzen ist: Freiheit. So wird „Tastenarbeiter“ ganz beiläufig zum erhellenden Kommentar zu einer missverstandenen Musik.
Wie authentisch von Schlippenbachs Haltung ist, zeigt seine hingebungsvolle Arbeit bis heute, ob live in Konzerten, die er noch immer gibt, oder auf Aufnahmen. Im Mai erst hat er mit der Pianistin Aki Takase, mit der er seit über vierzig Jahren verheiratet ist und eine unvergleichliche Arbeits- und Liebesbeziehung führt, ein neues Duo-Album aufgenommen: "Four Hands Piano Pieces". Darauf zeigt sich nicht nur der Dialog zweier Künstler, die ihre jeweils eigene Art musikalischer Freiheit miteinander austauschen. Es widerlegt auch eindrucksvoll den Ruf des Free Jazz als respektlose Form, in der Können kaum eine Rolle spiele – von Schlippenbachs Klavierspiel klingt hart, kantig, blockig, gleichzeitig zeigt er ein so durchdringendes Verständnis seines Instruments, dass es fast transparent und leicht erscheint. Wie seine Musik und der Free Jazz vestanden wird, sagt vor allem viel über die Hörer aus: über ihre Bereitschaft zur Freiheit.
"Tastenarbeiter" läuft am 9. November in deutschen Kinos an, bevor er digital zugänglich sein wird.
Außerdem
- Web Web und Max Herre, die Zweite: "Web Max II"
- Frode Haltli, die Dritte: "Triptyk"
- Jan Bang & Eivind Aarset, die Zweite: "Last Two Inches of Sky"
- Botticelli Baby, die Fünfte: "Boah"
- Will Barnes Quartet, die Erste: "Source of the Severn"
- Joanna Duda Trio; Ameli In The Woods
Fellow Travellers
(M.Herre / R.DiGioia)
Web Web
Compost Records
Triptyk
(F.Haltli)
Frode Haltli
Jazzland Recordings
Legion (feat. Nona Hendryx)
(A.Niermann / M.Bösherz / J.Buttler / M.Wehner / T.Hellenthal / L.Nawothnig / C.Scheer)
Jan Bang & Eivind Aarset
Unique Records
Stoneblock 1
(A.Takase / A.vonSchlippenbach)
Aki Takase & Alexander von Schlippenbach
Trost Records
Into the Staggerin
(A.vonSchlippenbach)
Alexander von Schlippenbach
FMP
Passing Time
(W.Barnes)
Will Barnes Quartet
Add a Band Records
Louis
(J.Duda)
Joanna Duda Trio
Echo Production
Heroine
(F.Schuster / M.Holley / S.Schuster / D.Mudrack / V.Kimmelmann)
Ameli In The Woods
Meiosis Records
Testimony
(M.Herre / R.DiGioia)
Web Web
Compost Records
Interludio
(T.Fulcheri)
Woxow
Little Beat More
Markus Will