"Wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn …?" Es ist verlockend, historische Szenarien unter anderen Voraussetzungen gedanklich durchzuspielen. Am Ende bleibt nur mehr oder weniger Spekulation, ob die Zeitläufte anders gekommen wären. Während solche Gedankenspiele in der Weltpolitik zuweilen drastische Auswirkungen zeichnen, geht es in der Kunst höchstens um singuläre Karrieren, die vielleicht nicht hätten stattfinden können – oder eine größere Chance gehabt hätten. Es darf bezweifelt werden, dass Louis Armstrong zu der Lichtgestalt des Jazz geworden wäre, hätte er nicht die künstlerisch mindestens ebenso begabte Lillian Hardin zur Ehefrau gehabt, die ihm den Rücken freihielt und ihn mit erfolgreichen Kompositionen und Ideen versorgte. Aber hätte das die Entwicklung des Jazz insgesamt auf den Kopf gestellt? Wohl eher nicht.
Im Umkehrschluss drängt sich die Frage auf: Hat es jemals einen Grund gegeben, Frauen vom musikalischen Schaffen auszuschließen oder zumindest fern- oder kleinzuhalten? Natürlich nicht, das Gedeihen des Jazz hätte weder Schaden noch Mangel erlitten. Die vereinzelten Protagonistinnen besonders in der Frühphase im Jazz Age legen nahe, dass es sicher nicht an Talent unter weiblichen Musikerinnen und Komponistinnen gefehlt hat. Sie waren einfach nur von ihren Möglichkeiten abgeschnitten – die Auswirkung von struktureller Benachteiligung, wie sie bis heute auf unterschiedlichste Weise fortbesteht.
Am Weltfrauentag reisen wir von den Anfängen der frühen Komponistinnen Mary Lou Williams, Blanche Calloway und Lil Hardin Armstrong über die ersten großen Bühnenstars wie Bessie Smith, Bricktop, Alberta Hunter, Mattie Hite und Florence Mills über die vergessene Instrumentalistin Bobbi Humphrey bis zu den Role Models Alice Coltrane und Norah Jones.
Viele sagen, es reicht nicht, einmal im Jahr auf die Straße zu gehen und an Frauenrechte zu erinnern. Das ist richtig. Doch viele Anstöße bringen Veränderungen ins Rollen. Auch die Recherchen zu dieser Sendung haben das Suchfeld erweitert – mit dem Ergebnis, dass wir in Zukunft weibliche Instrumentalistinnen stärker hervorheben wollen, insbesondere aus Belgien. Denn der immer noch männlich dominierte Jazz kann reicher werden. Vielleicht auch unter einem erweiterten Begriff – wäre "Jazzica" nicht verheißungsvoll?
Chicago, Damn
Chuck Davis
Bobbi Humphrey
Blue Note
Last Night!
(C.Moman / F.Newman / J.L.Smith / C.Axton / G.Caple / J.LeeSmith)
The Mar-Keys
Rhino
Portrait of Florence Mills (Black Beauty)
(D.Ellington)
Duke Ellington
Prestige
Lazy Woman’s Blues
(B.Calloway)
Blanche Calloway
Okeh
Struttin’ With Some Barbecue
(L.H.Armstrong / D.Raye)
Simone Ropmajer
Lucky Mojo Records
Why Can’t You Behave?
(C.Porter)
Ella Fitzgerald
Verve
Pisces
(M.L.Williams)
Mary Lou Williams
Smithsonian Folkways
Mental Floss
(L.Gyselinck)
LABtrio
Outnote Records
That’s Life
(L.Michels / N.Jones)
Norah Jones
Capitol Records
Rama Katha
(A.Coltrane)
Alice Coltrane
Impulse!
Markus Will