Die Ameise kann nicht anders. Hektisch erschließt sie sich ihren Pfad, ein Ziel scheint unklar - tanzt sie vielleicht? “Ants Dance” eröffnet mit heiterer Unruhe ein Album von schlüssiger Vollkommenheit: Thematisch in sich geschlossen eröffnet es weite Räume für die Gedankenspiele eines Beobachters im Müßig-Gang.
In acht Kompositionen verdichten sich Momente der Entschleunigung und der Impressionen, wie sie Schulte bei Spaziergängen im Corona-Lockdown erlebt hat. Seine Beobachtungen am Rand, seine Blicke auf kleine Dinge in der Natur der Stadt bestimmen die Dreh- und Angelpunkte. So handelt das Titelstück "Little Fly" vom Flug einer kleinen Fliege durch den Tag und von ihrer Sicht der Dinge, "Ants Dance" folgt einer Ameise, die abseits ihres Kolonieverbunds unterwegs ist, "Liz The Lizard" heftet sich an den Schwanz einer Eidechse, die durchs Unterholz des Stadtwalds rast, "Pinwheel" verklanglicht ein Windrad am Flussstrand, von Kindern vergessen und doch unaufhörlich weiter drehend. In den ersten zwei Stücken drängt sich noch anregendes Chaos in den Vordergrund, bevor Innigkeit und Besinnung das Regiment übernehmen. "Little Fly" ist gleitendes Gefühl, ein traumwandlerisch fließendes Lob der Wahrnehmung, dessen perlende Arpeggi Wärme und Geschmeidigkeit verbreiten.
Das Quintett spielt ineinander wie ein Schweizer Uhrwerk mit samtenen Zahnrädern, nirgendwo stören Nahtstellen oder Unwuchten, die Vitalität der Instrumentalisten und ihrer Harmonien bekommen so Raum für größtmögliche Wirkung. Erstaunlich: Der New Yorker Pianist Billy Test und Saxofonist Niels Klein bekommen den größten Raum im Ensemble; Martin Schulte, einer der elegantesten, stilsichersten Gitarristen im deutschen Jazz, nimmt sich dagegen in seinen eigenen Kompositionen dermaßen vornehm zurück, dass man kaum wahrnimmt, dass es sich um das Werk eines Gitarristen handelt. Er und seine Rhythmusgruppe - Matthias Akeo Nowak am Bass und Jens Düppe am Schlagzeug - erweisen sich als großzügige Gönner, die ebenso viel Halt wie Freiheit und eine stets angenehme Geschwindigkeit gewähren. Und wenn Martin Schulte mal ein paar Takte mit seiner Gitarre solo ausschmückt, ist er um viel Zurückhaltung mit einer ebenen Struktur und wohligem Griff bemüht.
"Little Fly" überzeugt mit einem weich umarmenden modernen Sound, der unter seiner geschmeidigen Oberfläche eine sanfte Lebendigkeit entfesselt und dabei tief in der Tradition des Jazz wurzelt. Eines der schönsten Jazzalben im bisherigen Jahr, das die Kraft seiner Exzellenz über das Gesamtbild verströmt.
"Little Fly" von Martin Schulte Quintet ist am 17. Mai auf JazzSick Records erschienen.
Außerdem: 53. Moers-Festival
Eine Autostunde von der ostbelgischen Grenze entfernt hat wieder das Moers-Festival begonnen. Vom 17. bis 20 Mai sind unter dem Motto "Jazzfestival für Musik / BeSinnung / Politik / Superheldinnen und: Zusammensein!" zahlreiche Künstler*innen und Veranstaltungen an verschiedenen Spielorten zu erleben, mit Musik, Performances und Kunst, die sich eindeutigen Definitionen charmant entziehen. Infos auf der Webseite des Veranstalters.
Weitere Alben in der Sendung
- Magne Thormodsæter: L’arte della persuasione (Ozella)
- Wadada Leo Smith & Amina Claudine Myers: Central Park’s Mosaics of Reservoir, Lake, Paths and Gardens (Red Hook Records)
- South West Oldtime All Stars: Celebrating The Duke – Nutcracker Suites (Galileo)
- Mose: Rand (Galileo)
Außerdem
- Billy Cobham zum 80. Geburtstag
- Elvin Jones zum 20. Todestag
- Nachruf auf David Sanborn
Pinwheel
(M.Schulte)
Martin Schulte Quintet
JazzSick Records
Elocutio
(M.Thormodsæter)
Magne Thormodsæter
Ozella
Central Park at Sunset
(W.L.Smith)
Wadada Leo Smith & Amina Claudine Myers
Red Hook Records
Firmament
(T.Kuschny)
Mose
Galileo
Nutcracker Overture
(P.I.Tschaikowski)
South West Oldtime All Stars
Galileo
Sugar, Rum, Cherry
(P.I.Tschaikowski)
South West Oldtime All Stars
Galileo
(Alone in) Brussels
(J.Brotter / J.Gilad / L.Ramani / B.Z.Aronow)
Crumb
Crumb Records
Obliquely Speaking
(B.Cobham)
Billy Cobham
BHM Productions
Youngblood
(E.Jones)
Elvin Jones
Enja
Lisa (Live)
(D.Sanborn)
David Sanborn
Warner Records
Markus Will