Galliano werden als Fackelträger der Acid-Jazz-Szene der frühen 1990er Jahre angesehen, doch sie waren sehr viel facettenreicher und komplexer. Sie waren ihrer Zeit voraus und schufen eine Collage aus Poesie, astralem Jazz, kosmischem Funk, sozialkritischem Soul, Dub, Reggae und Leftfield-Dancefloor-Rhythmen. "Sie waren die erste Gruppe, die wirklich eine Verbindung zwischen Club- und Jazzkultur herstellte - der Auftakt zu einem Raum, der später Gruppen wie The Comet is Coming oder Ezra Collective einschloss", sagt der langjährige Förderer und Musikmanager Gilles Peterson.
Drei Jahrzehnte später sind Galliano rund um ihren Mastermind Rob Gallagher mit ihrer neuen LP "Halfway Somewhere" zurück, die einmal mehr auf Petersons Label Brownswood Recordings erschienen ist - dessen dritten nach Acid Jazz und Talkin’ Loud. Auch wenn das Alter unvermeidliche Ablenkungen und eine gewisse Distanz zur Jugend mit sich bringt, ist Gallaghers Genie beim Sammeln von Fragmenten der Clubkultur, beim Dokumentieren seines urbanen Umfelds und beim Ansprechen allgemeiner globaler Probleme so scharf wie damals.
Gallagher wurde Mitte bis Ende der 1980er Jahre in den Londoner Underground-Clubs und auf Lagerhaus-Partys sozialisiert. 1988 veröffentlichte er seine erste Single auf dem Label Acid Jazz, entstanden aus einer Kultur, die Musik, Tanz, Mode, Kunst, Design und das geschriebene Wort umfasste. "Damals war alles total DIY mit all diesen verschiedenen Elementen, aber es passte alles zusammen. Alles sickerte durch und Galliano war unser kleiner Teil dieses Durchsickerns", sagt Gallagher im Wohnzimmer seines Hauses in Stoke Newington, umgeben von seinen Collage-Kunstwerken und Gedichtbüchern.
Als sie 1990 mit "Welcome to the Story" (produziert von Chris Bangs, der den Begriff Acid Jazz erfand) erstmals auftraten, trugen sie Gabicci-Pullover, Perlen und Totenkopfmützen und fingen damit eine Szene ein, die auf Neuerfindung beruhte. "Wir haben mit allem gespielt, was wir in die Finger bekamen, sei es ein Buch aus den 1970er Jahren über den jamaikanischen Stil oder alte Last-Poets- und Watts-Prophets-Platten", sagt Gallagher.
Mit ihrem Debütalbum "In Pursuit of the 13th Note" gaben Galliano 1991 den Platten, die sie in Clubs wie Dingwalls hörten, ihre eigene Londoner Note, und Gallagher und sein Kollege Constantine Weir verfassten Texte, die so scharf waren wie ihre Kleidung. "Es war einfach unsere Vorstellungskraft, die wir in alles einfließen ließen, was gerade passierte. Die ganze verrückte Energie, die uns umgab, hat uns einfach umgehauen."
Auf das Debüt folgte 1992 das disziplinierte und kunterbunt vibrierende "A Joyful Noise Unto To The Creator", mit dem ökologie- und gesellschaftskritisch engagierten Album "The Plot Thickens" gelang ihnen 1994 der musikalisch wie kommerziell größte Erfolg.
Auf ihrem ersten Studioalbum seit ihrem mächtigen und nachdenklichen "4" im Jahr 1996 werden Rob Gallagher und seine Partnerin, die Sängerin Valerie Etienne, unterstützt von den Galliano-Urgesteinen Ernie McKone ("The Great Ernesto") am Bass, Crispin ("Pump") Taylor am Schlagzeug und Ski Oakenfull an den Tasten. Das 19-teilige Album zeigt sich in der gleichen kreativen Verfassung wie ihre vier Alben aus den 1990er Jahren und unterstreicht, wie wegweisend ihre wilden Collagen von damals waren.
"Halfway Somewhere" von Galliano ist am 30. August auf Brownswood Recordings erschienen.
Weitere Alben in der Sendung
- Jazzrausch Bigband: Only Bangers! (ACT)
- Jan Lundgren & Yamandu Costa: Inner Spirits (ACT)
- Wolfgang Haffner: Life Rhythm (ACT)
- Ausfahrt: That’s a Trap (NWOG)
Außerdem: Neuheiten von Mieke Miami und Peter Gall + Ausblick auf das Julia Hülsmann Quartet und ihr Konzert am 7. September 2024 in Eupen
Markus Will