Allysha Joy kommt aus Melbourne, aber sie sagt "Naarm", wenn sie ihre Herkunft nennt. Es ist das Wort, das die Nachkommen der Indigenen für das Land verwenden, auf dem europäische Siedler im 19. Jahrhundert die Stadt Melbourne aufbauten, damals noch Port Phillip. "Ich erkenne an, dass diese Musik auf gestohlenem Land, dem Land des Wurundjeri-Volkes der Kulin-Nation, geschrieben und aufgenommen wurde", gibt Allysha Joy zu Protokoll – und zollt den Ahnen und Nachkommen der First Nations People ihren Respekt.
Ihr drittes Album "The Making of Silk" ist eine kühne Weiterentwicklung ihres künstlerischen Schaffens, mit reichen Jazz-Harmonien und einem tief rührenden Gesang, der aus einer wenig bespielten Dimension zwischen Soul und Jazz emporsteigt. Mit ihrem Respekt für die Kultur der Ureinwohner konfrontiert sie die Welt mit unbequemen Wahrheiten über den Kolonialismus: "Ich erkenne den andauernden Kampf um Souveränität an, den Kampf um freie Meinungsäußerung, Kultur, Sprache, Bewegung, Verbindung mit Kunst, Familie und Land. Ich erkenne den Geist an, der in dieser Musik lebt, und die lange Geschichte der Poesie, der Musik, der Kunst und des Widerstands […] Mit tiefem Respekt schaffe ich dieses Werk und teile es", schreibt die Künstlerin begleitend zum Album. Ihr Songwriting darauf verkörpert ein Geflecht aus Liebe, Wut, Verwunderung und der Hoffnung auf Veränderung und schafft Musik, die so ermächtigend wie intim ist.
Nach ihrem vielgelobten Debüt "Acadie : Raw" von 2018 und dem Nachfolger "Torn : Toxic" von 2022 treibt Joy ihre Reise als selbstproduzierende Künstlerin mit perfektioniertem Sound voran. Basierend auf komplexen Jazz-Rhythmen, in einer aufwändigen Produktion und mit der Reife einer Künstlerin, die sich ihrer Stimme noch sicherer geworden ist (dazu spielt sie Fender Rhodes und Percussions), ist "The Making of Silk" mehr als nur ein Ausrufezeichen hinter ihrem bereits eindrucksvollen Schaffen. Hat sie zuletzt noch mit etablierten Künstlern wie Ego Ella May und Julien Dyne zusammengearbeitet, verlässt sie sich nun auf ihre Einzelstimme. Musikalisch standen ihr allerdings 18 Musikerinnen und Musiker zur Seite, allen voran Finn Rees, dessen "Dawn is a Melody" jüngst ebenfalls Album der Woche war in der Jazztime.
"The Making of Silk" ist, wie der Titel andeutet, eine weich gleitende Klangwelt voller Reflexe und Lichtbrechungen, die sowohl zutiefst persönlich als auch universell ist. Dabei zeigt Joy nicht nur einen mächtigen Zugang zur Wirkung von Musik, sondern bewegt auch mit ihren Themen: Heilung, Verantwortung und eine philosophische Herangehensweise an die Liebe – anknüpfend an Persönlichkeiten wie die intersektional kritische US-Autorin Bell Hooks und Pulitzer-Preisträgerin Mary Oliver.
Mit ihrer Lyrik und dem Eingeständnis, auf "gestohlenem Land" zu leben, legt Allysha Joy ein Zeugnis für ein selbstloses Verständnis von Liebe, Demut und die heilende Kraft der Musik ab: "Es geht um eine Liebe, die mitfühlend ist, die in offenen Gesprächen, tiefem Zuhören und an der vordersten Front der sozialen Bewegung lebt und niemals versuchen würde, das Licht in dir zu ersticken. Es geht darum, unsere Einsamkeit und die Vergänglichkeit aller Dinge zu akzeptieren und trotzdem immer wieder zu beweisen, dass sie falsch sind - zu sagen, dass ich verstehe, dass sich alles ändert, dass alles endet, dass es Schmerz gibt, aber ich werde trotzdem lieben."
"The Making of Silk" von Allysha Joy ist am 13. September 2024 auf First Word Records erschienen.
Mâäk Quintet + Singülar in St. Vith
Doppelkonzert in St. Vith – Mâäk Quintet + Singülar – am Freitag, 20. September 2024 zu Gast im Kino Corso in St. Vith. Infos auf der Seite des Veranstalters
Weitere Alben in der Sendung
- Jungle By Night: Synergy (V2)
- Bas Bulteel: Eye Of The Storm (W.E.R.F.)
- Jason Stein: Anchors (TAO Forms)
- Mike Casey: Valencia (Mike Casey)
- Neuheiten von Kau Trio + Peder
Markus Will