In den 1970er Jahren prägte die esoterische Autorin Nancy Anne Tappe den Begriff der "Indigo-Kinder". Sie beschrieb damit Heranwachsende, die sich mit einer "indigofarbenen Aura" von anderen abhoben. Die rebellisch, kreativ und hochsensibel waren, psychisch und spirituell ihrer Generation voraus, das bestehende Gesellschaftssystem infrage stellend. Seitdem gilt "Indigo" - so der Titel des neuen Thomas Grimmonprez Trios - nicht nur als Farb-, sondern auch als Charaktermerkmal.
Auch wenn es für eine Persönlichkeitskonstante, die etwas Indigofarbenes hat, keinen Beleg gibt, so gibt es gewiss Menschen, die von jung an feinfühlig, intelligent, kritisch, nonkonformistisch und strebsam nach Veränderung sind. Zwischen diesen beiden Polen, zwischen farblicher Magie und spiritueller Idee, tupfen sich Thomas Grimmonprez am Schlagzeug, Victor Foulan am Kontrabass und Wajdi Riahi am Piano durch elf Kompositionen, die von federnder Sachtheit geprägt sind und dabei niemals eine gewisse Grundspannung verlieren. Wie ein autistisches Echo eines gut eingespielten Bebop-Trios in einem verrauchten Jazzclub klingen die drei, wenn sie sich durch Zeit und Gefühl tasten und versuchen, in Resonanz zu treten mit dem Sein und dem Schein.
Eine besondere Rolle kommt dem in Tunesien geborenen, belgischen Pianisten Wajdi Riahi zu, der bei allem Minimalismus von "Indigo" sehr reichhaltige Tempi, variable Klangstärken und spiegelnde Texturen spannt zwischen dem seidigem, disziplinierten Anschlag von Foulons Bassspiel und Grimmonprez’ kaum vernehmlichen, gänzlich unregelmäßigen Takt-Interventionen, die kaum je mehr sind als Hi-Hat-Zischeln, Beckenrand-Ticken und Besen-Rascheln. Riahi erhebt dieses Unternehmen der ätherischen Unscheinbarkeit in ein zärtlich groovendes, vielgestaltiges und spannend zugewandtes Jazz-Schmuckstück, das nicht nur viel Gehör verdient, sondern auch viele intime Gelegenheiten zur Live-Reproduktion.
Der fein ausgearbeiteten Klasse von "Indigo" ist anzumerken, dass dieses Album nicht aus einer Laune heraus entstanden ist, sondern Grimmonprez schon lange beschäftigt. Dass sein erstes Album mit Eigenkompositionen von 2009 bereits "Bleu" hieß, kann kein Zufall sein.
"Indigo" von Thomas Grimmonprez ist am 20. September auf Step By Records erschienen.
Außerdem in der Sendung
- Ezra Collective: Dance, No One’s Watching (Partisan)
- Hamburg Spinners: Die Hamburg Spinners im Schwarzwald (Asexy)
- Joel Lyssarides & Georgios Prokopiou: Arcs & Rivers (ACT)
- Skordatura, Jozef Dumoulin & Mâäk: Beefkat (W.E.R.F.)
- Live in Eupen am 11. Oktober 2024: Pablo Martín Caminero Trio
- Live in Aachen am 9. Oktober 2024: Immanuel Wilkins
Markus Will