Nach "Cinema Novo" (2006), "Balades Éphémères" (2011) und "Secrets" (2016) sind Massot–Florizoone–Horbaczewski wieder auf Tournee durch Belgien und die Niederlande. Im Notenkoffer: ihr neues, viertes Album "Lignes de Fuite" (Fluchtlinien). Horbaczewski (Cello), Florizoone (Akkordeon) und Massot (Tuba, Euphonium und Posaune) entziehen sich jeder Klassifizierung. Sie wechseln von der Melancholie eines Nino Rota zu vergnügten Singstücken, tanzen Walzer und flirten mit Jazz und zeitgenössischer Klassik. Durch ihr musikalisches Universum ziehen Elefanten und Mäuse, fröhliche Prinzen, trübsinnige Prinzessinnen und überforderte Beamte.
Die ungewöhnliche Formation aus Tuba, Akkordeon und Cello offenbart eine verblüffende Klangpalette mit breitem Register. Ihre flüssige melodische Eleganz folgt millimetergenauer Präzision, die ihnen nach fast zwanzig Jahren der Zusammenarbeit famos leichtig von Hand und Mund geht. Massot–Florizoone–Horbaczewski folgen keinen traditionellen Akkordschemata, sondern spielen eine Vielzahl von Stimmen, die sie zusammen, getrennt oder unisono spielen und dabei Linien ziehen – lange, kurze, schnelle, langsame. Cello und Bläser spielen in der Regel je nur eine Stimme, während das Akkordeon mehrere Stimmen spielen kann. Diese Linien teilt das Trio dann auf, aber nicht auf traditionelle Weise: Die Tuba kann beispielsweise solo improvisieren, das Akkordeon die Basslinien spielen und das Cello harmonisieren.
Für "Lignes de Fuite" (der Titel bezieht sich auf den kontrapunktischen Charakter der Kompositionen) haben sie dreißig Stücke komponiert und dann jedes zweite aussortiert. Nach der intensiven Vorarbeit und einigen Vorpremieren vor kleinem Publikum ging die Band auf Tournee durch China, wo sie im Januar ihre neuen Kompositionen erstmals bei der Einweihung der neuen belgischen Botschaft vorstellte. "Es war ein unvergessliches Konzert und ein riesiger Erfolg, der unser Vertrauen in die Kraft unserer Kompositionen stärkte und uns davon überzeugte, dass es an der Zeit war, Aufnahmen zu machen", sagt Michel Massot rückblickend. Die fanden an vier Tagen im legendären Toots-Studio der VRT statt, im Flagey-Gebäude unter der technischen Leitung von Stef Van Alsenoy, der für seine Aufnahmen im Ancienne Belgique bekannt ist.
Die 14 Kompositionen von "Lignes de Fuite" sind gleichmäßig auf die drei Musiker verteilt, aber gemeinsam arrangiert. Ihr erzählerischer Duktus entführt die Hörer in Abenteuer durch wortlose Frankophonie und den Orient, während ihre musikalische Sanftheit Geborgenheit auch für das feinste Ohr gewährt.
"Lignes de Fuite" von Massot–Florizoone–Horbaczewski ist am 2. Oktober 2024 auf Aventura Musica erschienen.
Weitere Alben in der Sendung:
- Keyboarder Sebastian Gahler verschanzt sich hinter Türmen von Vintage-Keyboards und nimmt mit seinem Quintett den Faden von Hancocks "Head Hunters" auf ("Electric Stories", Jazz Kitchen Records)
- Obskur und mitreißend: eine Rarität des ominösen Keyboarders und Komponisten Rick Panzer beamt uns in Jazztanz-Studios des Jahres 1979 ("Music for the complete Jazz Dance Class with Lea Darwin" [Remastered], BBE)
- Musik für Nase, Auge und Ohr – auf einer körperlichen Live-Aufnahme vom belgischen Quintett Synestet und der Klarinettistin Hélène Duret ("Live in Belgium", Igloo)
- Schlagzeuger Nico Chkifi bezeugt mit einem Quintett seine Liebe zu Paul Motian ("Motian Love Dance", Ramble Records)
- Das Lütticher Duo Amlou nimmt uns leise mit in die hintersten Ecken im Haus ("Casa", Belles Pantoufles)
- Chihei Hatakeyama & Shun Ishiwaka verschmelzen zu einer Mediation von Ambient und Jazzbeat-Figuren ("Magnificent Little Dudes Vol.2", Gearbox)
Markus Will