Adja Fassa flüstert nicht - sie singt, spricht, inszeniert und heult zielstrebig. Die in Brüssel lebende Künstlerin, die mit Geschichtenerzählen, Rhythmus und Ritualen aufgewachsen ist, tritt mit "Golden Retrieve Her" ins Rampenlicht, einem Debüt, das gleichermaßen politische Abrechnung wie poetisches Tagebuch ist. Adja, die an der KASK in Gent Theater studierte, wich schon früh vom Drehbuch ab und verzichtete auf vorgegebene Rollen, um ihre eigenen zu schreiben. Reisen durch Indien und Nepal vertieften ihr Interesse an Spiritualität und Sinnfragen, die sie später mit einem Gesangs- und Jazzstudium in Leuven verband. Seitdem hat ihre Kunst nie zwischen Performance und Selbstfindung getrennt.
"Golden Retrieve Her" entfaltet sich wie ein gespenstisches Märchen. In elf Stücken seziert Adja den Einfluss des Kapitalismus auf Intimität - singend aus der Perspektive einer erschöpften Mutter, einer müden Deliveroo-Fahrerin, einer Frau ohne Empathie. Es ist samtene Satire, ironisch und doch offenherzig. Musikalisch changiert das Album zwischen rauchigem Jazz, Gospel, ASMR-artigem Flüstern, straßenrauem Soul und bissigem Rock - man stelle sich Lianne La Havas vor, wie sie Nina Simone, D’Angelo und Erykah Badu bei Kerzenlicht in einer Brüsseler Bar nach Feierabend trifft.
Der Titeltrack umreißt das große Ganze: "Golden Retrieve Her" - ein Wortspiel und ein Protest. Adja versucht, ihre Sanftmut in einem System wiederzufinden, das Sanftmut bestraft. Mit Tarotkarten als Begleiter erschafft sie eine Klangwelt, die zuhört, bevor sie spricht. Dieses Debüt verkündet nicht nur ihre Ankunft - es nimmt Platz, ritzt seinen Namen in den Tisch und zündet eine Kerze für diejenigen an, die noch ihren Weg suchen.
"Golden Retrieve Her" von Adja ist am 11. April auf Sdban Records erschienen.
Adja live: am 11. Mai in Lüttich im Régina Club - Eintritt frei! Infos beim Veranstalter
Außerdem
- Ciao Kennedy: Fünf Freunde befeuern den Sound of Brussels ("Solarium", Igloo Records)
- Emily Allison & Boris Schmidt: Erinnerungen an ein Baumhaus in Bass und Sopran ("Treehouse Days", Hypnote Records)
- Barbastelle: Jordi Castagnes kleinteilige Quintett-Klangwelt zwischen Kammerjazz, neuer Musik und Improvisation ("Vestige Étésien", Aut Records)
- Perkussive Zeitlosigkeit: Simon Leleux und Manuel Hermia führen die Kulturen ihrer Instrumente zusammen ("Metanoïa", Igloo Records)
- Auster Loo: Simon Leleux Rhythmus und Lydie Thonnards Flötenspiel umschlingen sich in improvisiertem Folk-Jazz ("Abylisse", Auster Loo)
- Luftiges Experiment mit drei Saxofon-Stimmen und Posaune: Jim Monneau Quintet ("L’autre et moi", Jim Monneau)
- Trompete oder Flügelhorn trifft Gitarre oder Laute: 20 teilimprovisierte Dialoge von Stephen Altoft und Gilbert Isbin ("Rencounters", Jazz’Halo)
- Hommage an die kleine Schwester: Tom Bourgeois traumtänzerische Würdigung von Lili Boulanger ("Lili", Igloo Records)
Markus Will