Was entsteht, wenn drei improvisierende Musiker auf Kompositionen treffen, die wie Synekdochen funktionieren – als Fragmente eines nie ganz fassbaren Ganzen? Auf "Trees on Wheels" loten Samuel Ber (Schlagzeug), Jozef Dumoulin (Piano) und Tony Malaby (Saxofon) genau das aus. Die Stücke haben keine abgeschlossenen Formen, sondern offene Territorien, die sich im Zusammenspiel entfalten: mal als Ströme, mal als Widerstände, als Rotationen, als Überlagerungen.
Aufgenommen wurde das Album an drei verschiedenen Orten – beim Jazzdor Festival in Straßburg, in einem Pariser Studio und bei einem privat organisierten Konzert, das spontan dokumentiert wurde. Die Unterschiede in Raumklang und Energie hat Band-Leader Samuel Ber bewusst nicht geglättet. Vielmehr hat er die drei Aufnahmesituationen wie Filmszenen geschnitten, geschichtet, montiert – und so eine Form geschaffen, die sich eher an Kinodramaturgie als an Jazzkonventionen orientiert.
Es ist erst das zweite Album des Trios – nach "Maps & Synecdoches" (2018), aber die Verbindung zwischen den Musikern wirkt tief eingespielt: Der US-amerikanische Saxofonist Tony Malaby (u. a. mit Paul Motian, Fred Hersch, Charlie Haden) bringt klangliche Erfahrung und expressive Wucht. Dumoulin steuert seinen so elektronisch wie lyrisch denkenden Klavieransatz bei. Und Ber selbst verbindet sein Gespür für Form mit einem hochreaktiven Schlagzeugspiel, das immer auf der Suche ist – nicht nach Lösungen, sondern nach Übergängen. "Trees on Wheels" ist kein Album zum schnellen Hören. Es ist ein Durchgangsort, eine Denkbewegung mit Klangmitteln. Und manchmal auch ein Film ohne Bilder.
"Trees on Wheels" von Malaby / Dumoulin / Ber ist am 13. Juni 2025 erschienen auf Challenge Records.
Außerdem in dieser Sendung
- Andreas Haddeland Trio: Ausströmen, Einströmen – Norwegischer E-Gitarren-Jazz im Ästuar ("Estuar", Musikkopperatørene)
- Dana and Alden: Verliebte Biber im Vollmond – skizzenhafte Klangpoesie aus Oregon ("Speedo", Concord Jazz)
- Amanda Whiting: Harfe in Transformation – neue Perspektiven auf Spiritual Jazz ("Can You See Me Now?", First Word Records)
- Sveið: Improvisierte Mensch-Maschine-Dialoge – Jazz mit Live-Coding und KI-Modellen ("Latent Imprints", 577 Records)
- Burkard Kunkel: Thelonius Monk im Zithern-, Bassklarinetten- und Basshornet-Himmel – eine Hommage ("Monxarella", Bayla Records)
- Georgie Sweet: Erinnerungen in Zeitlupe – ein Jazz-R&B-Hybrid zwischen Jugend und leiser Stärke ("I Swear To You", First Word Records)
Maaru Will