Schon als Kind stand Callen Radcliffe Tjader Jr. auf der Bühne: als tanzendes Wunderkind "Tjader Junior". Seine Eltern, Vaudeville-Künstler – Vater Tap-Tänzer, Mutter Pianistin – erzogen ihn zu Rhythmus und Klavierspiel. Nach seinem Militärdienst studierte er Musikpädagogik und traf am San Francisco State College Dave Brubeck – eine Begegnung, die beide in die Jazzwelt katapultierte. Tjader spielte zunächst Schlagzeug in Brubecks Oktett, danach in dessen Trio, entdeckte das Vibrafon für sich. 1953 wechselte er in das populäre Quintett von George Shearing. Dort lernte er unter anderen Mongo Santamaría und Willie Bobo kennen – die entscheidenden Impulse für seine lebenslange Liebe zur afrokubanischen Musik.
Tjader war kein stilistischer Dogmatiker. Seine Musik war durchlässig: Mainstream-Bop, Westcoast-coole Eleganz, Exotica-Experimente, Fusion und schließlich immer wieder der Latin-Jazz, den er mit großer Ernsthaftigkeit, aber stets tänzerischer Leichtigkeit pflegte. Seine Bands bestanden oft aus exzellenten kubanischen Musikern – nicht, um "authentisch" zu wirken, sondern weil ihn der musikalische Dialog interessierte. Hits wie "Soul Sauce" machten ihn auch beim Pop-Publikum bekannt. Künstler wie Carlos Santana oder A Tribe Called Quest zählten später zu seinen Fans. In den 70ern flirtete Tjader mit elektronischen Sounds und Fusion-Grooves. Doch am Ende kehrte er zurück zu seinem ursprünglichen, akustischen Latin-Jazz – etwa auf dem Grammy-gekrönten Album "La Onda Va Bien" (1980). Zwei Jahre später starb er auf Tournee in Manila an einem Herzinfarkt – mit nur 56 Jahren.
Cal Tjader hat an die 70 Alben hinterlassen, die zwischen Mambo-Ekstase, Westküsten-Coolness und feingliedriger Jazz-Intelligenz swingen, schimmern, grooven. Seine Musik verbindet rhythmische Raffinesse mit melodischer Klarheit – stets elegant, nie folkloristisch, mit großem Respekt für die afrokaribischen Quellen. Sie ist mehr als ein Repertoire, sie ist ein Stilverständnis: Latin Jazz als offener, dialogischer Raum zwischen Tradition und Innovation, zwischen Tanzfläche und Jazzclub. Auch 100 Jahre nach seiner Geburt klingt diese Idee bewegend modern.
Außerdem in dieser Sendung
- The Circling Sun: Spiritueller Jazz zwischen kosmischer Dichte und brasilianischer Leichtigkeit ("Orbits", Soundway Records)
- Emma Smith: Jazzgesang mit Eigenkompositionen und Standards zwischen Augnezwinkern und Empfindsamkeit ("Bitter Orange", La Reserve Records)
- Kokoroko: Global Grooves aus London mit Sinnlichkeit, Wucht und dem Appell an Gemeinsinn ("Tuff Times Never Last", Brownswood Recordings)
- The Young Mothers: Transatlantischer Kollektivsound zwischen Impro, Beats und Punkenergie ("Better If You Let It", Sonic Transmissions Records)
Maaru Will