Es gibt Alben, die öffnen eine Tür und lassen sofort Licht herein. Wie "Italia": Kaum erklingen die ersten Takte, ist man versetzt in eine Welt aus italienischem Pop, Filmmusik und Jazz, wie sie in den 1960er- und 70er-Jahren das Lebensgefühl eines ganzen Kontinents prägte. Brönner selbst hat einen Teil seiner Kindheit in Rom verbracht. Vielleicht erklärt das, warum diese Musik für ihn mehr ist als eine Hommage: Erinnerung, Sehnsucht, eine Spurensuche nach einem Europa, das damals voller Hoffnung war.
Entstanden ist das Album in Bari und Rom, gemeinsam mit Nicola Conte, dem apulischen Gitarristen, Produzenten und Sound-Ästheten, der seit Jahren für stilvolle Klangarchitektur aus Jazz, Bossa Nova und Clubkultur steht. Brönner spannt den Bogen von Klassikern von Bruno Martini, Paolo Conte und Lucio Battisti bis zu Filmmusiken von Ennio Morricone und Piero Piccioni, die bis heute die Vorstellung von italienischer Eleganz und Melancholie prägen. Dazwischen finden sich vergessene Perlen, die nie über Italien hinaus bekannt wurden – eine Schatzsuche, die das Album abwechslungsreich und überraschend macht.
Brönner bleibt hier nicht allein Trompeter. Er singt – zum ersten Mal auf einem Album ausschließlich auf Italienisch. Mal in Duetten mit Gästen wie Chiara Civello oder Mario Biondi, mal ganz für sich. Besonders charmant gerät "Viva la Felicità", die Neuaufnahme der Titelmelodie von Signor Rossi, jenem kleinen Mann mit rotem Hut, der in den 70er-Jahren als Cartoonfigur mit seinem Hund Gastone nach dem Glück suchte. Bei Brönner klingt diese Suche verspielt, ironisch, zugleich warm und zeitlos. Mit "Cosa Vuoi" versteckt sich Brönners einzige Eigenkomposition auf "Italia", und sie klingt so authentisch nach 70er-Jahre-Jazz-Funk, dass man sie für ein Original jener Zeit halten könnte. Damit setzt Brönner seiner Liebe zu Italiens Popkultur auch ein persönliches Denkmal. Auf der anderen Seite des Spektrums steht "Amarsi Un Po’", ein poetisches Meisterstück von Lucio Battisti, das Brönner mit großer Zurückhaltung interpretiert – getragen, reduziert, voller Zärtlichkeit und Intensität.
"Italia" ist mehr als eine Hommage. Es ist ein Album, das Erinnerungen, Sehnsucht und Spielfreude verbindet. Ein Panorama italienischer Klangwelten, in denen Hoffnung, Eleganz und Menschlichkeit einer vergangenen Zeit spürbar werden. Till Brönner fasst es selbst so: "Manche Alben entstehen aus einem Gefühl. Dieses hier aus purer Liebe."
"Italia" von Till Brönner ist am 5. September 2025 bei Earmusic erschienen.
Außerdem in dieser Sendung:
- Sara Bax: Poetische Porträts zwischen Alltagsfigur und Ikone in vier Sprachen ("She’s the Poem", Challenge Records)
- William Brunard: Pariser Multiinstrumentalist mit Cello, Kontrabass und bis zu drei Gitarren – swingend im Geist Django Reinhardts ("Cello Project", William Brunard)
- Brigitte Beraha: Londoner Vokalistin zwischen Jazz, Folk, Impro und Elektronik – philosophisch und verspielt ("Teasing Reflections", Let Me Out Records)
- Live in Eupen: Christoph Irniger Pilgrim – Schweizer Quintett mit genre-offenem Band-Sound und dynamischer Magie (Samstag 20. September, Alter Schlachthof Eupen - Infos auf der Webseite des Alten Schlachthofs)
Maaru Will