Jazztime: Alfa Mist und die Science-Fiction der Wiedergeburt

Reinkarnation wird real, Zeit gerät ins Fließen: "Roulette" verbindet Jazz, Hip-Hop und Philosophie zu einem der spannendsten Konzeptalben des Jahres.

Alfa Sekitoleko alias Alfa Mist
Alfa Sekitoleko alias Alfa Mist (Bild: Dan Medhurst)

In Alfa Mists neuer Welt ist Reinkarnation kein Glaube, sondern wissenschaftlicher Fakt. Auf seinem sechsten Studioalbum "Roulette" entwirft der Londoner Pianist, Produzent, Sänger und MC ein Science-Fiction-Universum, in dem Träume und Erinnerungen vergangener Leben plötzlich als Beweis gelten – und damit eine neue moralische Ordnung erzwingen. Wer sich an frühere Existenzen erinnert, trägt Wissen in sich. Aber wem gehört dieses Wissen? Der Gemeinschaft? Den Mächtigen? Oder bleibt es bloß eine Last?

Diese Fragen bilden den Kern eines Albums, das Jazz als Denkraum begreift. "Roulette" ist zugleich spirituelle Versuchsanordnung und poetisches Hörspiel, ein Zyklus über Wahrnehmung, Identität und das Rauschen der Zeit. In "9 Months" spricht Alfa Mist als Yara, die Hauptfigur seines fiktiven Kosmos – eine Seele auf der Suche nach der eigenen Herkunft. "Avoid the Drones" wiederum ist pure Atmosphäre: ein hypnotischer Instrumentalstrom, in dem Rhythmus und Erinnerung ineinanderfließen.

Musikalisch zieht Alfa Mist die Kreise größer, die er 2015 mit seinem Debüt "Nocturne" begonnen hat. Warme Fender-Rhodes-Flächen, schwebende Grooves, fragile Bläser – alles wirkt miteinander verschaltet, organisch und transparent. Es gibt keine Trennung zwischen Jazz, HipHop und orchestraler Klangfantasie, sondern nur Übergänge, Spiegelungen, Rückblenden. Die Musik bewegt sich, als wäre sie selbst ein Bewusstseinsstrom: elegant, leicht melancholisch, von innen leuchtend.

Der 30-jährige Musiker aus dem Osten Londons, Sohn ugandischer Eltern, hat sich den Weg ans Klavier einst selbst erschlossen – über Samples, Beats, Loops. Heute ist er einer der einflussreichsten Grenzgänger des britischen Neo-Jazz. "Roulette", aufgenommen mit seiner Tourband und dem Amika Quartet, ist sein bislang geschlossenstes Werk: ein Album über den Kreislauf der Dinge, das Werden und Vergehen im Fluss der Erinnerung. Alfa Mist erzählt mit den Mitteln der Science-Fiction vom Jetzt.

"Roulette" von Alfa Mist ist am 3. Oktober 2025 erschienen auf Sekito Records.

Außerdem in dieser Sendung:

  • Gert-Jan Dreessen: Modernes, energetisches Trio-Album zwischen Groove, Harmonie und Experiment ("Angle of Incidence", Hypnote)
  • Pauline Leblond Double Quartet: Barocke Tänze und wilde Stride-Kaskaden aus Lüttich ("L’Oubli", Pauline Leblond)
  • Art Blakey & The Jazz Messengers: Frühester Live-Mitschnitt der Blanchard/Harrison-Ära ("Strasbourg 82", Gearbox)
  • Kenny Barron 1973: Vinyl-Reissue eines unterschätzten Debüts ("Sunset to Dawn", Time Traveler Recordings)
  • Ebi Soda: Jugendlich anarchische Energie mit elektronischem Flimmern ("Frank Dean and Andrew", Tru Thoughts)
  • Pierre Vaiana: 70. Geburtstag des Brüsseler Saxofonisten

Maaru Will

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