Jazztime: Bastien Keb öffnet sein Nachtarchiv – zwischen Traumrand und Straßenlicht

Mit "Ghouls" führt Bastien Keb durch 19 musikalische Vignetten zwischen Jazz, Hip-Hop, Wave und Spoken Word, die wie Erinnerungsfragmente aufleuchten – handgebaut, intim und filmisch.

Sebastian Jones alias Bastien Keb (Bild: First Word Records)
Sebastian Jones alias Bastien Keb (Bild: First Word Records)

Bastien Keb, bürgerlich Sebastian Jones, aus Leamington Spa in den britischen Midlands, hat eine Vorliebe für Fusion-Jazz, psychedelischen 70s-Funk und Soul. Daraus erweckt er eine Klangwelt aus Chamber-Funk, cinematischen Instrumentals und nocturnen, halb-traumhaften Beat-Tape-Momenten. Sein sechstes Album "Ghouls" ist wie seine Vorgänger-Alben ganz ohne Samples entstanden (so unglaublich es klingen mag), stattdessen mit einem Instrumentarium, das wie ein kleines Orchester aus seiner Wohnung zu stammen scheint: Saiten, Flöten, Hörnern, Harfe, Theremin. Alles trägt Spuren der Hände, die es gespielt haben. Diese handfesten Klänge formen diesmal eine Atmosphäre, die an nächtliche Stadtszenen erinnert – mal mit dem Schimmer eines Werbelichts, mal mit der körnigen Ruhe alter Videos aus den 90ern. Die Musik wirkt wie ein Raum, in dem sich jemand Notizen macht, während er noch halb im Schlaf hängt.

Der Titel "Ghouls" (Ghule) verweist auf mythische, leichenfressende Schattenfiguren, doch Keb benutzt das Wort weniger als Schreckensbild denn als Metapher für jene Erinnerungen, die plötzlich aus einer dunklen Ecke auftauchen: Szenen, die man längst vergessen glaubte und die sich doch wieder melden. Diese Geister aus dem Inneren geben dem Album seinen Kern – mal unheimlich, mal seltsam vertraut, wie alte Polaroids, die im falschen Licht wieder Farbe bekommen.

Malik Ameer Crumpler begleitet das Album als poetische Stimme, mehr Kommentator als Erzähler. Seine Texte legen Linien zwischen die Stücke, ohne ihnen eine feste Geschichte aufzuzwingen. Dadurch entsteht ein Album, das weniger eine Handlung als eine Haltung zum Sehen und Hören anbietet: ein Blick auf Momente, die sonst vorbeiziehen würden. Bastien Keb selbst beschreibt diesen Zustand als "warm, halb wach, halb schlafend" – was genau trifft, wie sich "Ghouls" anfühlt, vorausgesetzt, man hört es ganz.

Was diese Veröffentlichung besonders macht, ist ihr Selbstverständnis als ein Werk für Menschen, die merken, wie sich die Welt seltsam verschiebt, und die trotzdem die kleinen Lichter am Rand wahrnehmen. Bastien Keb zieht eine abstrakt erzählerische Kraft aus filmischer Musik – auf "Ghouls" gelingt ihm das so beeindruckend wie noch nie.

„Ghouls“ von Bastien Keb ist erschienen am 14. November 2025 auf First Word Records.

Außerdem in dieser Sendung

  • Yoni Mayraz: Up-to-date-Jazzfunk mit Live-Drive im Trio-Format ("Dogs Bark Babies Cry", PPK Records / La Reserve)
  • Patricia Brennan: Konzeptalbum aus Sternbild-Material von der Vibrafonistin der Stunde ("Of the Near and Far", Pyroclastic Records / La Reserve)
  • Союз (Soyuz): Osteuropäische Psychedelik und brasilianische Studioeleganz von Belarus’ aufgregendstem Exil-Act ("Krok", Mr Bongo)
  • Melvin Gibbs: Kollagiertes Elektro-Gefüge aus Drummachine-Wucht, verzweigten Synths und Orgel-Spitzen ("Amasia: Anamibia Sessions 2", Hausu Mountain)
  • Pat Thomas: Spirituell aufgeladenes Solo-Klavier, das Sufismus, Klangforschung und meditative Präzision verbindet ("Hikmah", TAO Forms)
  • Fergus McCreadie: Erzählerisches Pianotrio, das Highland-Folklore in klare, bewegliche Motive übersetzt ("The Shieling", Edition Records)
  • Horace Silver: Erstes Live-Dokument von einem der besten Blue-Note-Studio-Quintette – neu entdeckter Mitschnitt von 1965 ("Silver in Seattle: Live at The Penthouse", Blue Note)

Maaru Will

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