Schon als Glenn Goulds Mutter noch mit ihrem Wunschkind schwanger war, war sie davon überzeugt, dass dieses einmal ein herausragender Pianist werden würde. Den ersten Klavierunterricht erteilte sie ihrem Sohn noch als Kleinkind, und schon früh zeigte sich Glenn Goulds außergewöhnliches Talent und - neben einem absoluten Gehör - sein enormes musikalisches Gedächtnis: Eine einmal gehörte Tonfolge konnte er jederzeit abrufen und am Klavier reproduzieren.
Am Konservatorium von Toronto studierte Glenn Gould bei Alberto Guerrero. Von diesem lernte er eine ganz spezielle Spieltechnik, die sein ganzes Leben lang kennzeichnend sein sollte für die Klarheit und Struktur seines Klavierspiels. Diese Klarheit, von manchen Kritikern als Härte bezeichnet, machte aus Glenn Gould einen beliebten Bach-Interpreten. Aber auch Mozart und Beethoven spielte er auf diese strukturierte Weise, und das kam nicht bei allen Musikliebhabern gut an.
Die Musik der Romantik spielte Glenn Gould nur selten, denn diese weiche, auf Emotionen und Empfindungen beruhende Musik wies seiner Meinung nach einen Mangel an Struktur auf. Sein Klavierspiel war scharf artikuliert und rhythmisch, und das stand fast im Gegensatz zur Spielpraxis in der romantischen Epoche. Dennoch hat Gould auch einige Werke romantischer Komponisten auf Schallplatte eingespielt, wie die Rhapsodie in h-moll Opus 79 von Johannes Brahms.
Patrick Lemmens