Und so kam es.
Ich wollte dieses Jahr ein Themenalbum machen. Entweder eine Platte mit Kinderliedern oder nach 17 Jahren mal wieder ein neues Weihnachtsalbum, weil ich lange kein neues Album veröffentlicht habe, aber auch keine Kraft hatte, so viel über die Zeit nachdenken zu müssen, in der wir gerade leben. Klima- und Energiekrise, Pandemie, Kriege, Überkonsum… Viel zu viele Krisen auf der Welt. Ich sehne mich nach Leichtigkeit, Spaß, nach Aufrichtigkeit und Wärme. Da ich mit dem mega Konzert-Sommer, der Anfang des Jahres noch vor mir lag, keine Zeit gehabt hätte, in Ruhe ins Studio zu gehen, um neue Songs zu schreiben, habe ich mir gedacht, es sei ein guter Zeitpunkt, ein kleines Experiment zu wagen. Völlig zwanglos. Ich hatte keine Lust auf meine typische Schwermut und Melancholie. Ich wollte auch im Studio Lachen und Leichtigkeit und ein bisschen unter Leute kommen. Also habe ich meinen langjährigen Freund und Produzenten Nico Rebscher gefragt, ob er Lust hätte, mit mir ein Weihnachtsalbum zu machen und mich bei dem Prozess zu begleiten. Ich miete das Black Rock Studio auf der griechischen Vulkaninsel Santorini. Ende Januar und Ende Februar, jeweils für sechs Tage. Wir laden eine Hand voll Freunde und Kollegen ein, deren Arbeit mir in der Zeit gefallen hat und schauen mal, was dabei rauskommt. Gesagt getan. Max Wolfgang, Ali Zuckowski, Kelvin Jones, Nico Santos und Kalli&Joe kamen vorbei. Wir hatten tolle Gespräche und eine fantastische Zeit, haben gelacht bis wir geweint haben, haben abends zusammen gekocht und reichlich Raki getrunken. Aber vor allem haben wir Musik gemacht. Viel mehr, als ich zu Hause mit vier Kindern und dem dazugehörigen Alltag je machen kann. Was für ein Luxus, nicht um 17 Uhr die Zelte abbrechen zu müssen, um irgendjemanden abzuholen oder zum Sport zu fahren. Stundenlang an Songs und Texten arbeiten. Rauchen, trinken, ein kleines bisschen maßlos sein und danach wieder ins Studio, manchmal um 3 Uhr morgens und nochmal weitermachen. Herrlich. Mit Blick aufs Meer und die schwarzen Vulkanfelsen, was für ein Seelenwohl. Dass wir Weihnachtssongs schrieben, war irgendwie egal. Jeder war einfach glücklich über diese Auszeit, die zufällig unser Beruf ist. So viele talentierte Writer an einem Ort und natürlich hatte jeder Ideen zu Weihnachten, das ja gerade erst hinter uns lag.
Aber Lyrics schreibe ich lieber alleine. Seit Muttersprache singe ich keine Songs mehr, die andere für mich schreiben, sondern nur noch MIT mir. Ich habe die lyrischen Konzepte, bringe die Themen und habe über die Jahre immer weniger andere Menschen in diesem Prozess zugelassen, was manchmal nervt, denn mit guten Leuten macht es zusammen viel mehr Spaß. Die beste Zeile, das Ringen um jedes Wort, die Essenz dessen, was ich sagen will, zu finden, ist für mich alleine schwer genug. Bei Melodien bin ich offen und dankbar für gute Vorschläge, aber die Texte müssen genau meinen Tonus haben. Meine Sprache. Meistens spreche ich beim Schreiben gedanklich mit (oder aus der Sicht von) Frauen, manchmal mit Männern, mit meinem oder Verflossenen, manchmal mit meinen Kindern und auch mal mit mir selbst.
Nun wollte ich es mal wieder anders machen, denn ich hatte keine Lust auf meinen Kopf. Ich hatte mir vorgenommen mich zu öffnen, nicht alles abzulehnen, sondern diese Platte als Gemeinschaftsprojekt zu sehen. „Hey, es sind zwei Wochen Deines Lebens, im schlimmsten Falle kommst Du einfach zurück und vergisst es und machst nächstes Jahr eine neue Platte,“ hat mein Mann und Manager mir noch mit auf die Reise gegeben. Obwohl ich mit 7 Männern unterwegs war, gab es erstaunlich wenig Ego-Momente. Es wurde mal vehement diskutiert und Nico und ich zicken uns auch gerne mal an -vor allem nach 8 Stunden ohne Essenspause- aber wir kennen uns auch gut genug. Ich hatte das Gefühl, es ging allen darum, richtig gute Songs zu schreiben und so fiel es mir schnell leicht, mich zu öffnen und andere Ideen zuzulassen. Ich hatte einen klaren, konzeptionellen Plan, welche Perspektiven von Weihnachten ich in den Songs beschreiben wollte. Meine Kollegen haben diese grandios aufgenommen und geholfen, sie umzusetzen. Es ging alles ganz leicht und nach 12 Tagen war das Album fertig geschrieben. Nico Rebscher hatte als Produzent danach die meiste Arbeit, alles hübsch zu machen, was uns da in den langen Tagen und Nächten so eingefallen ist. Ende Mai sind wir zusammen nach London geflogen, um mal wieder mit der grossartigen Rosie Danvers Orchesteraufnahmen zu machen, die sie extra für meine neuen Songs arrangiert hat. Danach war ich bis Anfang September auf Tournee. Nico hat den Sommer über im Studio gearbeitet und ich vom Tourbus aus. Es war manchmal wirklich merkwürdig abends bei 35 Grad vor 10.000 Leuten zu spielen und danach im Van noch Weihnachtssong-Mixe anhören zu müssen. Mein Leben ist 2022 mal kurz von null (Corona-Zwangspause) auf 100.000 gegangen. Es war mit Abstand das verrückteste Jahr meiner Karriere und es ist noch nicht vorbei.
NOT SO SILENT NIGHT ist kein klassisches Weihnachtsalbum mit „Ave Maria“ und „Stille Nacht“, sondern eine Platte mit 12 selbst geschriebenen neuen Weihnachtsliedern.
Unter anderem die erste Single „Ring out the Bells“ euphorisch und die Vorweihnachtszeit einläutend. „Not so Silent Night“ beschreibt ein typisches Weihnachtsfest bei uns zu Hause. In „24th“singe ich für die, die nicht mehr bei uns sein können und die wir, vor allem an Weihnachten, besonders vermissen. Eigentlich eine ganz normale Sarah Connor Platte, finde ich. Nur still ist es nicht.
Denn für mich ist Weihnachten, wie auch der Titel der Platte ausdrückt, nicht nur ein besinnliches Fest, wenn ich ehrlich bin. Für eine berufstätige Mutter bedeutet Weihnachten viel mehr als nur eine besinnliche Zeit. Es ist vor allem Stress. Da schicke ich schonmal kleine Stoßgebete in den Himmel wie:
- Hoffentlich vergesse ich nichts
- Lass das Geschäft noch geöffnet sein
- Hoffentlich kommt das Geschenk rechtzeitig an
- Lass den Braten gelingen, denn wo kriegen wir sonst eine Alternative her und was soll die Familie dann essen???
- Bitte mach, dass es an Heiligabend friedlich ist und alle happy sind.
- Bitte mach, dass der Weihnachtsmann pünktlich kommt und nicht wieder ne Fahne hat.
Natürlich liebe ich die Weihnachtslieder, die geschmückten Fenster und beleuchteten Straßen, den Kitsch. Dafür hasse ich den Überkonsum, die Hektik, wie schnell alles vorbei ist, und wie sich an Heiligabend alle zusammenreißen, um Reizthemen zu umschiffen.
Ich vermisse jedes Jahr an Weihnachten meine geliebte Oma ganz fürchterlich und habe ihr den Song „Santa, if youre there“ gewidmet.
Ich liebe die aufgeregten Kinderaugen und ich liebe es, Weihnachten für sie auszurichten und hoffe, dass wir das noch ganz ganz lange so erleben können, vielleicht irgendwann mit einem weiblichen Santa, der eine andere Hautfarbe hat als ich oder auf einem futuristischen Auto statt einem Schlitten kommt.. wie in „Christmas 2066“.
Durch die Augen meiner Kinder kann ich noch immer an den Zauber glauben und wünsche mir an Heiligabend tatsächlich von ganzem Herzen Frieden für die Welt, in der sie leben.
Eines ändert sich auch an Weihnachten und auch auf Englisch nicht: ich mache Songs und Texte nah am Leben. Und als Mutter, Tochter, Schwester, Frau, ist es nun mal auch ein bisschen beten, dass alles schön wird.
Bei uns zu Hause ist Weihnachten wild, laut und lustig. Darum habe ich die Platte „Not so Silent Night“ genannt.
Ach ja, das Album ist auf Englisch, weil mir das Songtexte schreiben auf Englisch nach wie vor leichter fällt. Es geht einfach leichter von der Hand. Und ich wollte ja Leichtigkeit. Es gibt einfach mehr Wörter, die gesungen schöner klingen. Das ist aber eigentlich auch völlig egal. Ich bin mir sicher, ihr werdet mich trotzdem gut verstehen. Erscheinen wird NOT SO SILENT NIGHT am 18.11.2022!!
Lustigerweise war es überhaupt nicht komisch mit Meerblick, blauem Himmel und Sonnenschein ein Lied über das Wunder des ersten Schneefalls zu schreiben („Quiet White“). Am Tag der Abreise hat es auf Santorini das erste Mal nach 10 Jahren geschneit!! Ich schwöre, wir hatten was damit zu tun.
Fröhliche Weihnachten und viel Spaß mit der Platte,
Sarah
UMD/ Polydor