Eigentlich war sie doch schon längst in der Schlussphase der Aufnahmen, ja, es fehlte nicht mehr viel und ihr drittes Album wäre komplett im Kasten – davon zumindest war Dua Lipa überzeugt. „Ich hatte schließlich schon eine ganze Reihe von Songs und glaubte, dass alles ziemlich bald fertig sein würde“, erinnert sie sich. „Doch dann ging ich mit Danny Harle und Kevin Parker ins Studio. Ich dachte nur: ‘Oh, das klingt ja komplett anders als das, was mir die ganze Zeit über vorgeschwebt ist, aber das hier ist exakt die Richtung, in die ich gehen wollte!’ Letztendlich haben wir danach noch so viele Songs gemeinsam geschrieben, dass die älteren Sachen nach und nach ausgeklammert wurden, denn ich wusste ab da einfach, dass ich das gefunden hatte, wo ich hinwollte. Ich hatte damit den Sound des neuen Albums gefunden.“
Das Resultat heißt Radical Optimism: Dua Lipas drittes Album und der mit maximaler Spannung erwartete Nachfolger zu Future Nostalgia aus dem Jahr 2020. Kein Wunder, wo der Vorgänger es sogar auf Platz 6 in den Top-10 der meistgestreamten Alben in der Geschichte von Spotify schaffen sollte. Ganz zu schweigen von Platz 1 in gleich 14 Ländern, womit Lipa endgültig zu einer der größten Popstars der Welt avancierte. Um so mutiger, dass sie mit dem neuen Album eine etwas andere Richtung einschlagen wollte: Sie hatte Lust auf eine andere Attitude, auf neue Sounds, auf die Energie von neuen Leuten in ihrem Kreativ-Team.
Neben den bereits genannten Produzenten Parker (sonst Mastermind von Tame Impala) und Harle (u.a. verantwortlich für die innovativen Produktionen von Caroline Polachek), arbeitete Lipa auch mit Tobias Jesso, Jr. und ihrer angestammten Kreativpartnerin Caroline Ailin zusammen. „Der Großteil dieses Albums entstand so, als wären wir eine Band“, berichtet sie. „Die unterschiedlichen Backgrounds und Herangehensweisen ergänzten einander extrem gut, sowohl menschlich als auch musikalisch passte einfach alles. Wir alle waren superoffen miteinander, und alle Beteiligten haben andauernd irgendwelche Ideen eingebracht. Ich hatte echt das Gefühl, mich in dieser Konstellation von meiner verletzlichsten Seite zeigen und ganz offen über meine Erfahrungen sprechen zu können. Auch musikalisch passierte einfach wahnsinnig viel, das war unglaublich aufregend: Ich wollte ganz tief darin eintauchen und ein Teil davon sein.“
Die Arbeit in einem derartig kreativen Umfeld entpuppte sich auch als Phase der Selbstreflexion und Selbstfindung, denn Dua Lipa beschäftigte sich zugleich intensiv mit ihrem Leben. Besonders die positiven Aspekte, die Freuden, den Spaß, die vielen Freiheiten fasste sie in den Blick – und thematisierte sie in den Songs mit einer ganz neuen Offenheit und einem neuen Selbstbewusstsein.
„Ich war die ganze Zeit Single, während ich dieses Album geschrieben habe“, erzählt sie. „Jeden Tag kam ich mit irgendeiner lustigen Anekdote ins Studio – und diese persönlichen Geschichten flossen dann direkt als Inspiration in die einzelnen Songs mit ein. Alles ist dadurch sehr viel lockerer und spontaner, viel ehrlicher als zuvor. Denn früher war ich davon überzeugt, dass ja so oder so schon so viel von meinem Leben in der Öffentlichkeit sichtbar war, weshalb ich es ganz schön beängstigend fand, auch noch die letzten Details von mir preiszugeben. Doch genau genommen fühlt sich gerade das am allerbesten an: Es war echt tröstend, heilsam und auch einfach verdammt aufregend, über meine wirklichen persönlichen Erfahrungen zu schreiben – und gar nicht erst zu versuchen, mich hinter irgendwelchen Metaphern zu verstecken.“
Schon mit ihrem gleichnamigen Debütalbum stellte Dua Lipa im Jahr 2017 die gesamte Popwelt auf den Kopf: über vier Millionen verkaufte Einheiten – flankiert von gleich 40 Millionen verkauften Singles. Das Video zu ihrem allerersten Hit „New Rules“ (für sie seither „der Song, der mein Leben verändern sollte“) machte sie zur jüngsten Solo-Musikerin in der Geschichte, die bei YouTube die Marke von einer Milliarde Views sprengen sollte. Zu den vielen weiteren Awards und Auszeichnungen, die wenig später folgten, zählten u.a. auch der BRIT Award als „British Female Solo Artist“ und ein GRAMMY (2019) als „Best New Artist“.
Die Future Nostalgia-Ära, die wenig später anbrechen sollte, stellte das alles jedoch locker in den Schatten. Zwischenzeitlich wirkte es sogar so, als ob das im März 2020 veröffentlichte zweite Album ganz allein dafür verantwortlich wäre, dass die Menschheit zumindest irgendwie auf die Lockdown-Maßnahmen klarkommt. Insgesamt brachte Album #2 in UK gleich vier Top-10-Hits hervor, und 2021 entpuppte sich „Levitating“ hinterher sogar als größter Song des Jahres in den Vereinigten Staaten. Als im Jahr 2022 dann auch Live-Aktivitäten endlich wieder möglich waren, markierte die dazugehörige „Future Nostalgia“-Tour den nächsten Höhepunkt dieser Ära. Zugleich fand die Sängerin während der massiven Tour schon die klanglichen Schwerpunkte, die für Radical Optimism zentral werden würden.
„Nachdem ich ein Jahr lang auf der Bühne gestanden hatte, war dieses ganze Live-Ding einfach viel wichtiger für mich, auch die Instrumentierung – und ich wollte davon ganz klar mehr in meinen Studioaufnahmen hören“, so Lipa. „Inzwischen stelle ich mir bei jedem Song, den ich schreibe, vor, wie er wohl in Glastonbury klingen würde. Für mich persönlich ist das der wichtigste Gradmesser.“
Sobald sie dann ihre neue Crew um sich versammelt hatte, entstand gleich als erstes der druckvolle Dance-Sound von „Illusion“. „Damit war das Eis für dieses Album gebrochen“, so die Sängerin. „Der Song handelt davon, dass man eigentlich ganz genau weiß, auf was für ein Spielchen man sich da einlässt – man aber trotzdem mitmacht, einfach nur aus Spaß. Man dreht den Spieß um, indem man sich darüber amüsiert und dieses Spiel des anderen einfach mitspielt, ohne wirklich auf die ganze Show – die ‘Illusion’ – reinzufallen.“
Auch mit ihrer Gesangsstimme konnte sich Dua Lipa dieses Mal in ganz andere Regionen bewegen, denn „wenn du diese Muskeln ein ganzes Jahr lang auf Tour trainierst“, dann sei selbstverständlich viel mehr drin. „Als ich ins Studio zurückkehrte, hatte sich meine Stimme wirklich komplett verändert. Sie war so kraftvoll, so durchdringend und so vielseitig. Ich konnte plötzlich auch all die hohen Töne erreichen, mit denen ich mich davor nie befasst hatte.“
Mit „These Walls“ und dem abschließenden „Happy For You“ nennt sie im selben Atemzug auch gleich zwei Beispiele für den erweiterten Stimmumfang. „Das sind Sachen, wie man sie noch nie von mir gehört hat: Absolut persönliche Stücke, mit denen ich auch gesanglich ein neues Terrain einnehme“, so Lipa. „‘Happy For You’ handelt davon, den Menschen, mit dem man mal zusammen war, glücklich weiterziehen zu sehen und dabei zu fühlen: ‘Ich muss dich wirklich sehr geliebt haben, wo es mich nun schon glücklich macht, dich so glücklich zu sehen.’ Man muss wirklich extrem viel für diesen anderen Menschen empfinden, um an diesen Punkt zu gelangen und einzusehen, dass es für einen selbst einfach nicht gepasst hat. Und der Sound dazu ist einfach mal richtig episch.“
UMD/Urban