Die Vergleiche mit internationalen Stars hat LOI sich nicht ausgedacht, aber sie traut sich laut zu sagen, dass sie von einer Welttour und Performances in großen Arenen träumt. Und zwar schon immer. Mit vier singt sie im Kinderchor, verbringt Nachmittage mit ihrer Schwester im Keller der Coverband ihrer Mutter und die „Drei Musketiere“, wie sich die Familie nach der Trennung der Eltern nennt, singen oft und viel zu dritt. Damals vermutet keiner, dass Leonie daraus eine Karriere macht, aber Mutter und Schwester melden sie bei „The Voice Kids“ an und sie singt sich ins Finale. Leonie ist 14 und aus dem Traum wird ein klares Ziel: ein Musikstudium.
„Nach ‚The Voice‘ habe ich die Schule durchgezogen, obwohl es nicht immer leicht für mich war, weil ich unbedingt Musik machen wollte. Nach Schulschluss bin ich oft zum Unigebäude gefahren und habe manifestiert eingeschrieben zu sein.“ Unabhängig davon lernt sie mit 17 ihr späteres Management kennen und sie beginnen gemeinsam an Coversongs zu arbeiten. „Während Corona waren ja nur zwei Dinge möglich: Straßenmusik und Social Media. Also habe ich mit Maske und Verstärker draußen gespielt und parallel Videos auf TikTok gepostet, die irgendwann viral gingen.“ LOI erobert das Netz mit Covers, die z. T. mehr Creations inspirieren als die Originale, landet mit der ersten Single I FOLLOW direkt 28 Millionen Streams und eine Werbekampagne und schafft mit Folgesingle BLINDING LIGHTS sogar 96 Millionen Streams und Gold in Brasilien.
„Als ich 2021 an der Uni war, hatte ich bereits zwei Singles draußen und musste mir bald eingestehen, dass ich zu wenig Zeit hatte. Das Studium aufzugeben war schwer, aber ich bereue es nicht, denn mein eigentlicher Traum ist ja auf der Bühne zu stehen.“ Das macht die 22-jährige Künstlerin aus: Sie zweifelt nicht an ihrem Weg – auch nicht, wenn die Spotlights Schatten werfen. „Zum Business gehören Dinge, die mit Singen wenig zu tun haben. Social Media zum Beispiel oder der Umgang mit Hatern. Schon zu ‚The Voice‘-Zeiten gab es Kommentare zu meiner Figur und später sogar mal einen Shitstorm samt Morddrohung, weil ich eine Songzeile in eine female version geändert hatte. Schon heftig, vor allem wenn man jung ist und es um reine Äußerlichkeiten geht, aber ich habe heute ein dickeres Fell und gelernt, über vieles zu lachen.
Eigentlich mag ich Kritik, zum Beispiel wenn es um meine Auftritte geht, aber wenn ich etwas poste, mache ich mir mittlerweile viele Gedanken. Wie jeder bin ich auch nicht immer zufrieden mit mir oder meinem Aussehen, aber ich möchte ein Vorbild sein und anderen Mut machen. Auch wenn ich selbst mittendrin stecke, teile ich meine Geschichte und zeige mich, wie ich bin – vielleicht können sich dann andere damit identifizieren und wir halten zusammen für Body Positivity und Selbstliebe. Ich bin nicht perfekt und versuche so gut ich kann, dazu zu stehen. Zu meinem Körper, meinem Muttermal, meinen Träumen – und auch zu meinen Fehlern.“
Zeitgleich mit schwierigen Erfahrungen klingeln aber auch Referenzen Sturm – und sie ergeben Sinn: Die Parallelen zwischen LOI und einer Sängerin wie Adele sind erstaunlich. Beide haben künstlerische Mütter, die ihre Töchter früh allein erzogen haben und keine leichte Beziehung zu ihren Vätern. Beide verlieben sich schon als Mädchen in Musik, entwickeln sich auch auf dem akademischen Weg, werden als Teenager erfolgreich, müssen sich Kommentare über ihr Äußeres anhören und haben Stimmen, die Fans und Fachwelt den Atem rauben. Schon klar: LOI spielt (noch) in einer ganz anderen Liga, aber klein denken ist nicht, wenn man Großes erreichen will.
Die Kraft dafür tankt die Mannheimerin auf der Bühne. Das macht sie glücklich und wenn sie singt, ist sie frei. „Ich weiß noch, dass ich als Newcomerin auf einer riesigen Open Air-Bühne stand und total eingeschüchtert war – und dann wurde es der schönste Moment überhaupt. Ich fing an zu singen und konnte alles loslassen. Es gab nur noch mich, die Songs und das Publikum – hinterher hatte ich Tränen in den Augen und wollte sofort zurück. Seitdem bin ich so viel wie möglich live unterwegs, um meine Akkus aufzuladen – für die Zeit, in der ich nicht singen kann.“
Es ist die letzte Gemeinsamkeit, bevor sämtliche Verweise an den Nagel gehängt werden: Was außergewöhnliche Künstler ausmacht, ist der Drang, die Kunst auszuüben, vielleicht auch um mit Erwartungen umzugehen, die besonderes Talent auslösen. „Es gibt unterschiedliche Arten von Druck – den von außen und den, den man sich selbst macht. Den will ich irgendwie sogar, weil er mich pushed und dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Ich weiß aber, dass es wichtig ist, mich auch außerhalb der Musik kennenzulernen.“ Das ist die Krux: Persönlichkeit und echter Selbstwert wachsen nicht durch Rampenlicht und Hits, sie brauchen Zeit und Lebenserfahrung.
„Wenn ich zu Hause bin, falle ich manchmal in ein Loch, deswegen finde ich gerade heraus, was mir abseits der Bühne Spaß macht. Ich habe Boxen probiert, tanze viel und gehe total gerne spazieren. Einen Freundeskreis von früher oder eine feste Beziehung habe ich nicht, dafür sind mein Team und meine Band enge Freunde geworden – da muss man sich nicht erklären, weil wir in der gleichen Welt leben. Ehrlich gesagt fürchte ich manchmal, dass ich durch andere von meinem Ziel abgelenkt werden könnte, aber daran arbeite ich aktuell. Wahrscheinlich muss ich einfach nur die richtigen Menschen treffen und bis dahin versuche ich etwas für mich zu tun.“
Auch musikalisch schließt LOI ein Level ab und fasst die Erfolgstracks der letzten fünf Jahre auf ihrem 2025 erscheinenden Debütalbum LEFT IN YOUR LOVE zusammen. Wie es anfing mit PICK UP, MELODY oder eben I FOLLOW; was sich mit BAD IDEA, NEWS oder BLINDING LIGHTS verändert hat und wie es zuletzt durch die Decke ging mit Songs wie GOLD, das über 100 Millionen Streams und mehr als 1,5 Millionen YouTube-Views meldete – und vor allem, was AM I ENOUGH für sie bedeutet, das so viel mehr ist als eine #1 der deutschen Airplaycharts.
„Der Song ist für sich schon eine Entwicklung, weil es ihn seit Jahren gibt, aber er jetzt erst fertig ist und sich richtig anfühlt. Er beschäftigt sich damit, dass ich früher unsicherer war und oft Angst hatte, Fehler zu machen. Ich bin natürlich jetzt erwachsener und weiß besser, was ich will. Das fühlt sich gut an und ich kann diese Gefühle jetzt ausdrücken – aber ich habe natürlich noch lange nicht alle Antworten.“ Dass LOI uns mitnimmt auf ihre Reise zu sich selbst und rein in die Fußstapfen, die ihre Stimme und die gewaltigen Erfolge vorlegen, beweist der Titeltrack des kommenden Albums LEFT IN YOUR LOVE.
„Meine Eltern haben sich getrennt, als ich sechs war und mein Vater und ich hatten danach kein entspanntes Verhältnis. Ich hatte nie die Absicht darüber zu schreiben, aber eines Tages hat das Thema mich gefunden. Ich war in London, um mit Freunden an neuer Musik zu arbeiten und die Worte haben sich ihren Weg gesucht. Der Song ist so schnell und organisch entstanden, das war schon etwas Besonderes. LEFT IN YOUR LOVE erzählt, wie ich mich als Kind gefühlt habe. Nicht unbedingt wie die Realität war, sondern wie ich sie gedeutet habe. Durch den Song haben mein Vater und ich uns ausgesprochen und sind uns viel nähergekommen. Deswegen bedeutet mir der Song viel und ich habe großen Respekt davor, ihn demnächst auch live zu singen. Ich glaube aber, dass es ein starker Song ist, weil er mir direkt aus dem Herzen spricht. LEFT IN YOUR LOVE und AM I ENOUGH sind für mich sicher die intensivsten Tracks auf dem Album.“
Als junge Frau im Scheinwerferlicht erwachsen zu werden und mit Erfolgsdruck, ständiger Bewertung und absurden Schönheitsidealen umzugehen, ist eine riesige Herausforderung. Aber bei LOI hat man den Eindruck, dass es möglich ist. Getragen von einer Stimme, die ganze Kontinente in Staunen versetzt, gehalten von der puren Leidenschaft für die Bühne und beflügelt von Zielstrebigkeit und jeder Menge positiver Energie wird sie ihren Weg gehen. „Ich bin einfach neugierig, was man schaffen kann, wenn man alles reinsteckt, was man hat. Und ich möchte so viele Menschen wie möglich erreichen und ihnen sagen: Wir sind gut – so wie wir sind!“
Volksmusic